Karma-Attacke (German Edition)
Ist das kein Beweis?»
Der Professor lächelte. «Ja, für Sina ist es einer. Und für mich auch. Für die moderne Wissenschaft ist das hier höchstens so eine Art Placebo-Effekt.»
«Falls es keine früheren Leben gibt und bei mir alles nur Einbildung war», lachte Sina, «ist das allerdings der beste Placebo-Effekt, von dem ich je gehört habe!»
Professor Ullrich rutschte in sein Lieblingsthema hinein, die Kritik an der modernen Wissenschaftstheorie. «Wissen Sie», sagte er, «heute ist nur das anerkannt, was die AOK bezahlt.»
Robert schüttelte den Kopf. «Aber, ich meine, an den Universitäten, die Leute studieren doch Psychologie und…»
Der Professor legte Gabel und Löffel hin. Nur Vivien aß weiter.
«Sehen Sie, die Wissenschaft fährt über eine gut ausgebaute Straße. Es gibt ein Grundwissen, es gibt Lehrbücher, allgemein anerkannte, abgesicherte Methoden. Es ist wie auf einer Autobahn. Die einen fahren in eine Richtung und die anderen kommen aus dieser Richtung. Die nächste Generation, die nachfolgenden Leute, reihen sich nahtlos in den Verkehr ein. Einer überholt mal einen anderen, einem geht der Sprit aus und er fährt an eine Tankstelle. Ich sage ja gar nicht, dass das alles falsch ist. Ich sage nur, so passiert es, das ist der Mainstream. Jeder Quadratmeter ist abgesichert, vom TÜV abgenommen und von der Verkehrswacht kontrolliert. Aber ich mache etwas ganz anderes. Ich folge nicht der Straßenkarte, sondern einem geknickten Zweig am Waldrand. Dort gibt es nicht mal einen Trampelpfad. Ich habe noch keine Ahnung, ob ein Tier den Zweig geknickt hat, der Wind oder ein Mensch. Vielleicht werde ich, wenn ich dort langgehe, in einer Sumpflandschaft herauskommen. Vielleicht werde ich mich verlaufen und nie wieder zurückfinden.»
Jetzt ließ auch Vivien die Gabel sinken. Mit vollem Mund hörte sie dem Professor zu. Sie mochte seine Art, wenn er die Dinge so einfach und bildreich erklärte.
«Vielleicht ist das alles ein Irrtum. Vielleicht entdecke ich aber auch eine Quelle, von der all diese Verkehrsteilnehmer auf der Autobahn nichts ahnen. Sie sehen die Quelle nicht, und sie wagen sich nicht dorthin. Sie würden mit ihren Fahrzeugen auch nicht durch das Dickicht kommen. - Irgendwann einmal wird es vielleicht eine gut ausgebaute Straße zu dieser Quelle geben. Dann werden auch die anderen dort ankommen. Bis dahin …»
Robert stand auf und öffnete noch eine Flasche Wein. Er hatte jetzt das Bedürfnis, von seiner Arbeit zu erzählen. Warum er vom Gymnasium geflogen war. Dass er Fotograf werden wollte, schließlich eine Fotolehre begann, aber eigentlich immer nur im Laden stand und Filme verkaufen musste. Schließlich hatte er die Lehre geschmissen und fuhr nur noch Taxi. Fotos machte er immer noch. Er hatte Lust, sie zu zeigen, und fragte den Professor, ob er sie sehen wollte. Sina zierte sich, denn er hatte ein paar sehr erotische Schwarzweißfotografien von ihr gemacht.
Professor Ullrich reagierte gar nicht auf Roberts Frage. Er war mit den Gedanken ganz woanders. Marga hätte längst hier sein müssen.
Doch Vivien nickte fröhlich. Klar wollte sie die Fotos sehen.
55
Die Spritze half gegen die Schmerzen in Hüfte und Schulter, aber nicht gegen die Wut. Die Ärztin in der Kölner Ambulanz hatte Ackers strikte Bettruhe verordnet. Er habe mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Gehirnerschütterung, auch wenn er behauptete, nicht erbrochen zu haben. Sie sehe es an seinen Pupillen, sagte sie.
Ackers war so wütend auf sich selbst, er hätte am liebsten die Schere vom Tisch genommen und sie sich in den Oberarm gerammt. Er stellte sich vor, wie er die Schere in seinem Arm genüsslich drehte. Der Impuls, sie zu nehmen, wurde immer stärker, doch die Ärztin war schneller. Sie schnitt damit ein Stück Pflaster von der Rolle und klebte den Schulterverband fest.
Das Schlimmste hier war, dass sie alles ganz genau wissen wollten. War es ein Arbeitsunfall gewesen? Auf dem Weg von der oder zur Arbeit? Trug ein Dritter Mitschuld an dem Unfall? Fahrzeuge? Zeugen? Krankenkasse? Angestellt? Selbstständig? Zurzeit arbeitslos?
Er wollte nur weg. Sollte er hier wirklich erzählen, dass er sich von einer Putzfrau und einem Minderjährigen so hatte zurichten lassen? Seine Kollegen würden sich schieflachen. Wusts Grinsen konnte er schon vor sich sehen.
Ackers verließ die Ambulanz ohne sich auch nur vage daran zu erinnern, welche Antworten er auf die Fragen gegeben hatte. Er konnte aufrecht gehen und die
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