Karma-Attacke (German Edition)
Mitbürgern, die sich von einem wie ihm scharf abgrenzten. Die für jugendliche Kriminelle härtere Strafen forderten und eher für Arbeitslager als für eine kostspielige Therapie waren. Nun sah er all seine Vorurteile zerplatzen. Die da benahm sich überhaupt nicht brav. Ihr teigiges Gesicht wurde zur Fratze, ihre Stimme überschlug sich, sie kreischte die übelsten Schimpfworte. Wieder drehte Fischer Zwei sie in seine Richtung. Er packte sie bei den Schultern und bremste damit den Drehstuhl.
Eigentlich war er ein umsichtiger Mensch, eher auf Ausgleich denn auf Konflikte bedacht. Doch seine Eier schmerzten noch immer. Er wusste, dass gleich irgendwelche Jungs von einem Sonderkommando auftauchen würden, um die beiden mitzunehmen. Er hatte keine Ahnung, worum genau es ging. Er hasste Geheimniskrämerei. Und er hasste es, wenn man ihm in die Weichteile trat.
Ihm war klar, dass er kein Recht hatte, dieses Verhör zu führen; er war lediglich für die Sicherheit der Festgenommenen verantwortlich. Er hatte neben seinem Vorgesetzten gestanden, als die kurze Information durchs Telefon gekommen war. Was im Einzelnen gesagt wurde, hatte er nicht verstanden, doch er hatte die schiere Angst im Gesicht seines Vorgesetzten gesehen. Der Chef hatte das Kommando sofort an seinen Stellvertreter abgegeben und sich mit Durchfall abgemeldet.
Auf ausdrücklichen Befehl von oben waren sämtliche Ein- und Ausgänge des Präsidiums mit automatischen Waffen gesichert worden, das hatte Fischer Zwei noch nie erlebt. Nicht mal bei der großen Kurdendemonstration. Die beiden hier hatten eine Menge durcheinander gebracht. Sie alle befanden sich in einer absoluten Ausnahmesituation. Wenn die Frau und der Junge nicht Täter waren, sondern schützenswerte Opfer, warum benahmen sie sich dann wie die letzten Kriminellen?
Noch einmal verlangte Marga Vollmers, augenblicklich einen Anwalt sprechen zu dürfen, doch Fischer Zwei durfte niemanden zu ihr lassen. Die beiden durften auch nicht telefonieren, so lange die Jungs vom SEK noch nicht da waren.
Sie spuckte ihm ins Gesicht. Der Speichel blieb unter seinem linken Auge kleben und tropfte von dort auf sein Kinn. Er griff in die Hosentasche und suchte sein Papiertaschentuch. Ein neues Bombardement von Schimpfwörtern prasselte auf ihn nieder.
Tom bewunderte Marga auf eine ihm bisher völlig unbekannte Art. Leuten, die einen festen Beruf hatten und älter als fünfundzwanzig geworden waren, ohne je mit dem Gesetz in Konflikt gekommen zu sein, traute er normalerweise nicht. Aber eine Frau, die mit solcher Kraft einem Polizeibeamten so schmutzige Worte ins Gesicht brüllte, die spuckte und kratzte und schrie und um sich trat, die fand er zum Niederknien. Die war wie er. Er fühlte sich ihr zutiefst verbunden. So eine Mutter hatte er sich gewünscht, ohne eine Ahnung zu haben, dass es in dem Alter überhaupt solche Frauen gab.
Seine eigene Situation interessierte ihn nicht weiter. In dem Verhörzimmer war es völlig ruhig. Die Beamten standen nur da und passten auf ihn auf. Er durfte Cola trinken, und sie boten ihm einen Schokoriegel an, sogar Zigaretten, mit Filter und ohne. Sie waren freundlich-distanziert und versuchten, ihm nicht zu nahe zu kommen.
Er starrte nur durch die Scheibe zu Marga hinüber. Fischer Zwei wischte sich die schaumige gelbe Spucke aus dem Gesicht. Dann holte er mit der rechten Hand drohend aus. Stolz reckte sie ihm ihr Kinn entgegen. Mach doch, sagte ihre Miene.
Da sprang Tom auf und kreischte: «Fass sie nicht an, du Drecksau!»
Sofort standen zwei Beamte neben ihm und versuchten, ihn auf den Stuhl zurückzudrücken. Seine gesamte Muskulatur war gespannt. Er wirkte, als könnte er durch die Doppelglasscheibe springen. Marga warf ihm einen Blick zu. Es lag keine Dankbarkeit darin, o nein, eher Verachtung, weil ihm nichts Besseres einfiel.
Langsam hob Fischer Zwei die Hand noch höher und schaute zu Tom herüber. Die anderen Beamten wandten sich ab. Fischer Zwei ließ die Hand einen Meter über Margas immer noch stolz nach oben gerecktem Gesicht schweben.
Als sie endlich nach unten sauste, hörte er mit Befriedigung das Aufklatschen seiner Hand, bevor es geschah.
Marga riss den Mund auf, machte eine kurze Bewegung zur Seite und schnappte zu. Den kleinen Finger verlor er sofort. Den Ringfinger erst, als er panisch versuchte, den Rest seiner Hand durch einen kräftigen Ruck zu retten.
Marga Vollmers spuckte die Finger aus. Sie lagen vor ihm auf dem Boden wie kleine,
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