Karma-Attacke (German Edition)
Hubschrauber gebracht. Sein Hemd flatterte im Wind der rotierenden Blätter. Hier, mitten im größten Lärm, machte van Ecken ihm ein Angebot. Er legte freundschaftlich den Arm um Tom und brachte seinen Mund nahe an Toms Ohr.
«Wir wissen alle, dass du eine Menge Scheiß gebaut hast, Junge. Glaub ja nicht, wir könnten dir und deiner Bande die Einbrüche nicht nachweisen. Ich mach dir einen Vorschlag. Wir streichen alles aus deinen Akten. Du wirst wieder eine saubere Weste haben, kriegst einen Neuanfang. Eine eigene kleine Wohnung, ein Konto mit genügend Startgeld, eine Lehrstelle. Wir sind nicht hinter dir her, Kleiner, wir jagen einen größeren Fisch. Sag mir alles, was du weißt. Über Vivien und den Professor. Wenn ich sie mit deiner Hilfe kriege, lösen sich alle deine Probleme in Luft auf.»
Tom schluckte. Van Ecken spürte, dass der Junge mit sich rang, und begann sofort, seine Fragen zu stellen. Solange er nicht das Gefühl hatte, dass ihm etwas angehängt werden sollte, würde er schon antworten, meinte van Ecken.
«Was hast du mit dieser Putzfrau zu tun? Wohin wolltet ihr? Wo sollt ihr den Professor treffen? Du stehst nicht unter Anklage, Junge. Niemand will dir schaden. Sei vernünftig. Hilf uns jetzt.»
Doch das alte Misstrauen in Tom war stärker. Zu oft war er von Erwachsenen reingelegt worden. Seiner Erfahrung nach wurden Versprechungen äußerst selten eingelöst, Drohungen dagegen immer. Er sah genau, wo van Ecken seine Waffe trug. Mit hängenden Schultern saß er da und fragte: «Und wo bringen Sie mich jetzt hin?»
64
Die Personenkontrolle im Zug von Köln nach Basel war noch nie schärfer gewesen. Jeder Bundesgrenzschutzbeamte wurde von zwei Kollegen mit automatischen Waffen begleitet. Dienstanweisung von ganz oben. Es wurde jemand gesucht, der mit bloßen Händen blitzschnell und skrupellos tötete. Sie hatten Fotos von Vivien und von Professor Ullrich dabei. Es gab die Bilder in allen möglichen Computervariationen. Mit Bart, ohne Bart, mit langen Haaren, glatzköpfig, mit Elvisfrisur und Spitzbart. Doch eine weinende alte Dame in Trauerkleidung, die von ihrem Enkelsohn getröstet wurde, suchte niemand.
Sina Berger trug ebenfalls Schwarz. Ihr Mann hatte eine Schnapsfahne. Er trug die Krawatte auf halbmast, und sein schwarzer Anzug war offensichtlich zwei Nummern zu groß.
Sie gab den Beamten alle vier Ausweise und erläuterte: «Meine Mutter, Maria Jentsch. Der Sohn meines Mannes aus erster Ehe, Niklas Berger. Mein Mann Robert Berger. Und das hier ist mein Ausweis. Die Schwester meiner Mutter ist gestorben. In Zürich. Wir sind sofort los.»
Der Beamte schaute sich die Ausweise nur flüchtig an. Sie waren alt, zerknittert und echt. Er schöpfte nicht den geringsten Verdacht.
Auf der Schweizer Seite gab es keine Kontrollen mehr. Robert stand auf und ging in den Speisewagen, Kaffee und Sandwiches holen.
Sina lehnte sich gegen die Schiebetür und zog die Vorhänge wieder vor. «Wie lange wollen Sie die Sachen meiner Mutter noch tragen?»
Obwohl die Verstellung jetzt nicht nötig gewesen wäre, antwortete der Professor mit piepsiger weiblicher Stimme: «Bis Luzern. Dort werde ich wieder ein Mann, und ihr könnt zurückfahren. Vielen Dank für eure Hilfe.»
Sie schüttelte den Kopf. Wie machte er das? Er hatte ihre Mutter nur zweimal gesehen. Einmal, als sie in die Klinik eingeliefert worden war, und einmal, als ihre Mutter sie abgeholt hatte. Hatte er ihre Art tatsächlich so sicher in seinem Gedächtnis gespeichert, dass er sogar ihre Stimme nachmachen konnte? Er gab ihr immer neue Rätsel auf. Und ihre Bewunderung wuchs.
Sie fuhren weiter in Richtung Zürich. Robert kam mit seinem Tablett zurück, darauf ein See aus übergeschwapptem Kaffee. Er war so nervös, dass er nicht einmal das Wechselgeld hatte annehmen können. Der unfreundliche Kellner hatte über fünfzehn Franken Trinkgeld kassiert, mehr, als er selbst in einer ganzen Nacht als Taxifahrer erwarten konnte.
Kurz vor Luzern verschwand Sinas Mutter auf der Toilette und kehrte als Mann zurück. Vivien blieb der schwarzhaarige Junge mit dem dicken Pickel auf der Nase und den abgekauten Fingernägeln. Sie gefiel sich so. Endlich musste sie nicht mehr sie selbst sein.
Die Ausweise behielten Professor Ullrich und Vivien vorsichtshalber. Auch die Kleider von Maria Jentsch legte Professor Ullrich sorgfältig zusammengefaltet in seine Puma-Tasche. Sie gaben einander nur kurz die Hände. Er bestand darauf, dass die Bergers mit
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