Karma-Attacke (German Edition)
mordlüstern.
Van Ecken nahm das Knacken und Rauschen in Kauf und drehte die Lautstärke voll auf. Unwirsch packte er nach hinten und rüttelte an dem Sessel von Frau Dr.Benthin. «Schauen Sie sich das an!»
Er spulte ein wenig zurück. Marion Benthin setzte sich aufrecht hin und tat, als hätte sie die ganze Zeit aufmerksam zugesehen. Gern hätte sie schnell einen Kaffee getrunken, aber sie sah die Thermoskanne nicht. Es war zu dunkel im Raum.
In der Stimme von Professor Ullrich schwang ein metallenes Scheppern mit. «Du sagst, du könntest töten, Uta?»
Vivien schob den Unterkiefer vor und reckte ihr Gesicht in Richtung Kamera. «O ja!», zischelte sie. «Ich hätte Lust dazu.»
«Mein Gott, diese Augen! Man könnte ja Angst vor ihr kriegen», entfuhr es Frau Dr.Benthin.
«Wie willst du töten?»
Vivien hob ihre Hände hoch und spreizte die Finger. «Damit», sagte sie.
Nach einer kurzen Pause fragte der Professor: «Hast du schon getötet?»
Augenblicklich saßen van Ecken und Staatsanwältin Benthin wie Jagdhunde in ihren Bürosesseln. Mit langen Hälsen reckten sie ihre Gesichter vor, als wollten sie erschnüffeln, was Vivien als Nächstes tun würde. Damit sahen sie ihr auf geradezu kuriose Weise ähnlich.
Viviens Hände ballten sich zu Fäusten. Sie schlug damit auf ihre Oberschenkel, dann gegen ihre Stirn. Sie legte den Kopf schräg und knirschte mit den Zähnen.
Professor Ullrich wiederholte seine Frage.
«Nein», sagte Vivien schließlich, atmete aus, schüttelte den Kopf und stöhnte: «Doch, das habe ich. Nein, nein, das habe ich nicht.»
Professor Ullrich ließ ihr Zeit. Vivien atmete heftig. Ihr Körper verkrampfte sich.
«Was geschieht?», fragte der Professor. Dadurch lockerte sich etwas. Viviens Schultern wurden beweglicher, das Gesicht war nicht mehr so verzerrt.
«Ich verstehe das nicht. Ich sehe Leichenteile. Ich wühle darin herum.»
«Wer bist du jetzt? Bist du Uta?»
«Ja. Nein. Ich weiß es nicht.»
«Was ist mit diesen Leichenteilen? Gehören sie zu einem Tier, zu einem Menschen oder…»
«Sie sind von Menschen. Innereien liegen herum und…» Vivien verzog das Gesicht und schüttelte heftig den Kopf.
«Ekelst du dich davor, Uta?»
«Nein, das ist es ja gerade. Ich ekle mich überhaupt nicht. Ich wühle darin herum. Ich …»
Frau Dr.Benthin stieß van Ecken an. «Halten Sie das an.»
Er tat es sofort.
«Wenn das kein Beweis ist», sagte sie. «Unsere Psychologen sollen sich das angucken.»
Van Ecken hielt ihr zugute, dass sie übermüdet war. Trotzdem wies er sie zurecht. «Das ist für gar nichts ein Beweis. Die Psychologie-Pfeifen werden Ihnen erklären, dass hier irgendein Trauma hochkommt, irgendwas mit ihrer Mutter.»
Seit er eine kurze Liebesgeschichte mit einer Gestalttherapeutin hinter sich hatte, hatte van Ecken für Psychologen absolut nichts mehr übrig. Um sich keine weiteren Vorschläge anhören zu müssen, schaltete er wieder ein.
«Warst du das, Uta?»
«Ich, ich weiß nicht. Ich glaube, ich bin gar nicht Uta. Ich bin jemand anders. Aber…» Vivien begann zu weinen. «Das … das sieht aus wie … wie meine Mutter.»
Sie sprang auf und warf ihren Stuhl in Richtung Professor, stürzte sich auf ihren Arzt, kratzte und schlug. Die beiden fielen hin und wurden von der Kamera nicht mehr erfasst.
Es waren nur Schreie, Scheppern und schweres Atmen zu hören. Wenig später erschienen Viviens strampelnde Füße auf dem Bildschirm, gleich darauf die des Professors. Allmählich kam Vivien zur Ruhe, man hörte sie nur noch leise wimmern. Die beiden mussten jetzt daliegen wie ein Liebespaar.
«Es ist gut, Vivien. Es ist gut. Wenn du nicht Uta bist, wer bist du dann?»
Sie schrie verzweifelt: «Ich weiß es doch nicht! Es war so furchtbar.»
«Manchmal», erklärte der Professor ruhig, «nisten sich Erinnerungen an andere Inkarnationen ein. Man bleibt nicht immer genau in dem Leben, das man sich anschauen möchte. Das ist nicht schlimm, Vivien. Vielleicht ist das, was du gesehen hast, viel, viel älter. Oder auch ganz jung. Vielleicht hast du nur an deine Mutter gedacht, weil Uta auch an ihre Mutter…»
Ja, dachte van Ecken, genau so werden es auch die Psychologen erklären. Von wegen Inkarnation. Das Kind fühlt sich schuldig am Tod der Mutter und hat folglich solche Träume.
Ohne anzuklopfen stürmte Wust herein und schaltete die Neonbeleuchtung ein. Als das Licht durch die langen Lampen flackerte, wusste er, dass er einen weiteren Fehler gemacht
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