Karwoche
hinterlässt keine bleibenden Schäden bei dem Kleinen.«
Mit spitzen Fingern holte er das Foto aus dem offenen Lammkopf. Als er es auseinanderrollte, blieb ihm die Sprache weg. Jana Kienlechner sah ihm über die Schulter und sagte leise: »Um Gottes willen! Wer ist das?«
Kapitel 56
D ie Hände hinter ihrem Rücken blieben taub, egal, was sie mit ihnen anstellte. Die Fesseln schnürten zu stark in die Handgelenke. Die Angst lag wie ein Zentnergewicht auf Jennifers Brust und machte, dass sie ihren Herzschlag im Hals spürte. Am liebsten hätte sie hemmungslos geweint. Aber als Krankenschwester wusste sie, dass ihre Nasenschleimhäute anschwellen würden. Da sie ein Klebeband auf dem Mund hatte, bestand die Gefahr zu ersticken. Sie musste sich beherrschen. Solange sie die kalte, schimmlige Luft durch die Nase einatmen konnte, hatte sie eine Chance. Sie wusste nicht, was ihr Entführer plante, nur, dass es für ihn ein großes Risiko sein würde, sie am Leben zu lassen. Sie hatte ihn gesehen und wusste, was er getan hatte. Sie hörte ein Geräusch hinter der Kellertür.
Unmittelbar darauf wurde die Tür aufgezogen. Es war eine einfache Tür, zusammengenagelt aus Brettern, die Angeln knarzten, es gab keine Klinke. Anscheinend wurde die Tür nur von einem Vorhängeschloss gesichert. Die Kellerdecke war niedrig, er musste sich ducken. Ohne Licht zu machen, ging er zu ihr und setzte sich neben sie auf die Matratze. Seine Augen waren weder brutal noch gefühllos. Sie waren so, wie sie immer gewesen waren. Ein wenig nachdenklich, mit einem Anflug von Bedauern. Als er das Tape wegriss, brannte die Haut um ihren Mund.
»Schreien hat keinen Sinn. Es würde dich keiner hören, und ich müsste dir ein neues Band draufkleben.«
»Was willst du von mir?«
»Ich denke, das weißt du.«
Sie überlegte, was sie sagen sollte. Vielleicht sollte sie versuchen, Zeit zu gewinnen. »Tut mir leid, ich komm nicht drauf. Ich bin etwas benebelt. Hast du mir was in den Kaffee getan?«
»Ich hätte dir auch was über den Kopf hauen können. Aber das lässt sich schwerer dosieren als eine Tablette. Es war der schonendste Weg.«
»Wenn du etwas von mir wissen willst – du hättest fragen können.«
»Ich will nichts von dir wissen, ich will etwas von dir haben. In deinem Auto habe ich es nicht gefunden. Kannst du dir jetzt denken, was es ist?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich habe ein bisschen den Eindruck, du nimmst mich nicht ernst.«
»Doch, das tue ich. Du kannst alles von mir haben. Sag einfach, was du willst.«
»Ich will zuerst einmal sichergehen, dass ich nicht verarscht werde.«
»Ich verarsch dich nicht. Ehrlich.«
»Dann sag mir, was ich suche. Noch ein kleiner Tipp: Es war bis vor kurzem noch in deiner Wohnung. Als du zur Hütte gekommen bist, hast du es nicht dabeigehabt.«
»Kannst du mir die Fesseln wegmachen? Oder wenigstens lockerer? Die Hände sterben mir ab.«
»Warum tust du das?«, sagte er und stand auf. »Du bist nicht in der Position, Spiele zu spielen. Du willst Zeit gewinnen. Aber wozu? Glaubst du, Herr Dr. Weber kommt angeritten, um dich zu retten? Der hat nicht die geringste Ahnung, wo du bist. Und das gleiche gilt für alle anderen Menschen auf diesem Planeten.«
Für einen Moment war er in den dunkelsten Teil des Kellerraums abgetaucht. Geräusche verrieten, dass er etwas suchte. Es klang, als schiebe er metallene Dinge auf einem Tisch hin und her. Als er wieder auftauchte, hatte er eine Rolle silberfarbenes Tape in der Hand, von dem er ein etwa zwanzig Zentimeter langes Stück abriss. Die Rolle warf er in die Dunkelheit zurück, das abgerissene Stück klebte er Jennifer auf den Mund. Sie wehrte sich und redete auf ihn ein, es nicht zu tun. Schließlich fixierte er ihren Kopf zwischen seinen Knien. »Jennifer, ich will das Lamm. Hast du das verstanden?«
Sie nickte mit weit aufgerissenen Augen.
»Sagst du mir, wo es ist?«
Sie brachte erstickte Laute hervor, die ihn offenbar dazu veranlassen sollten, das Klebeband zu entfernen.
»Das war eine Frage, die du mit ja oder nein beantworten kannst. Es ist also nicht erforderlich, dass ich das Band wieder von deinem Mund wegmache. Noch einmal: Sagst du mir, wo das Vieh ist?«
Sie überlegte, ob sie nicken sollte. Was würde er mit ihr machen, wenn sie ihm nicht sagte, was er wissen wollte? Und wenn sie es ihm sagte, was würde er Jana antun?
»Du zwingst mich, gemein zu werden. Das bereitet mir kein Vergnügen. Aber es bereitet mir auch kein
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