Katzenhöhle
zuverlässiges Rädchen im Getriebe, wenn ihr der Boden unter den Füßen wegzubrechen drohte. Aber heute schienen sich Himmel und Hölle und alle vier Elemente gleichzeitig gegen sie verschworen zu haben. In ihrem Gesicht jagte eine Gewitterwolke die nächste, sie bedachte jede Störung mit einem unbeherrschten Fluch und funkelte Helmut bei jedem Räuspern so abgrundtief böse an, als hätte er gerade mit Wonne fünf unübersehbare Löcher in ihre neuen Stiefel aus feinstem Leder geschnitten. Ob das nur daran lag, dass heute Samstag war?
Helmut vergrub sich noch tiefer in seine Stapel. Auch er hätte sich lieber halbwegs ausgeschlafen und anschließend mit Maika gefrühstückt, während ihn seine viermonatige Tochter mit ihren Verrenkungen vom Essen abhielt und der dreijährige Florian solange das Haus auf den Kopf stellte. Ausgerechnet diese häuslichen Unwägbarkeiten, die ihn vor kurzem noch völlig durcheinander gebracht hatten, machten ihm jetzt nichts mehr aus. Sie gehörten eben dazu. Nicht, dass er alles hingenommen hätte. Doch er nahm größeren Anteil am Leben zu Hause und fühlte sich in seiner Position endlich am rechten Platz. Er unterstützte Maika, wo er nur konnte und im Gegenzug akzeptierte sie ihn in seiner Rolle als verantwortungsvollen Vater. Ihre Beziehung hatte sich entspannt. Wenn nicht die Sorgen mit der Bank gewesen wären, hätte er sich direkt als glücklichen Menschen bezeichnet.
Aber so wie’s aussah, würde Maika bald wieder zu arbeiten anfangen. Mit ein bisschen Glück könnte sie als Krankenschwester zweimal pro Woche die Nachtschicht übernehmen und wäre so tagsüber daheim. Das hatte sie ihm gestern Abend freudestrahlend berichtet. Dann bräuchten seine Eltern nur im Notfall als Babysitter einspringen. Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, dass sie diesem Vorschlag überhaupt zustimmen würden, denn sie führten ein ausgefülltes Leben zwischen Tennisplätzen und Fernreisezielen im Sommer und Konzertsälen und Skipisten im Winter. Doch seit Helmuts älterer Bruder eine feste Freundin hatte und diese mit verklärtem Blick immer öfter von baldigem Nachwuchs redete, schienen sich Helmuts Eltern mit ihrem Oma-und-Opa-Dasein ausgesöhnt zu haben. Lange genug hatte es gedauert – und jetzt kam es sogar Maika und ihm zugute. Wie sie aufblühte! Die Aussicht, ihrem häuslichen Wirkungskreis für kurze Zeit zu entfliehen, brachte ihre Augen zum Glänzen. Er fühlte sich entlastet, in mehr als einer Hinsicht. Denn wer wusste schon, wann seine Beförderung endlich in greifbare Nähe rückte? Sie war zwar überfällig, aber die Wege der Bürokratie waren unergründlich.
»Da fehlt doch eine Wohnung. Mist, verdammter!«
Lilians zusammengezogene Augenbrauen sahen aus, als bestünden sie aus einem einzigen dicken Strich, den ein Maler in Vollendung seines Werkes unerbittlich auf die Leinwand geklatscht hatte. Helmut kniff die Augen zusammen. So massige Brauen hatte Lilian doch gar nicht.
»Warum gibt’s da keinen Bericht von der Wohnung daneben? Diese Arschlöcher!«
»Wie meinen?«
Helmut strahlte sie an, obwohl er genau wusste, dass ihn – sollte er nicht eine gewisse Vorsicht walten lassen – gleich der sprichwörtliche Zorn Gottes treffen würde. Wie konnte nur eine so hübsche, fast engelsblonde und wirklich intelligente Frau wie Lilian fluchen, wie ein Hafenarbeiter es kaum geschafft hätte?
»Lass mal sehen.« Helmut schnappte sich die Blätter auf Lilians Schreibtisch. »Stimmt, die Wohnung neben der von Lena Zolnay fehlt. Da hat auch schon beim ersten Durchgang keiner aufgemacht. Ich ruf mal den Forster an.«
Er nahm den Hörer und tippte eine Nummer ein. Nach einem kurzen Wortwechsel legte er wieder auf.
»Der ist nicht da.« Die Bemerkung ›wo doch heute Samstag ist!‹ verkniff er sich wohlweislich. »Aber sein Kollege hat gesagt, in dieser Wohnung sei nie jemand an die Tür gegangen. Da wohnt wohl ein alter Mann, an die achtzig. Keiner weiß, wo der steckt. Nur eine Frau im dritten Stock, linker Eingang meinte, der könne bei irgendwelchen Verwandten sein.«
»Ich will auf der Stelle wissen, wo dieser alte Knacker ist. Die sind doch wirklich alle zu doof! Alles muss man selber machen, so eine blöde Scheiße …«
Schon wieder ging’s los. Fast wollte sich Helmut die Ohren zuhalten. Er wusste zwar, dass der Staatsanwalt vorher angerufen hatte. Ebenso ein Journalist, den irgendeiner versehentlich durchgestellt hatte. Aber das allein würde Lilian nicht so aus
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