Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
jedoch nicht, um gleichfalls zu beten, sondern um mit ihm zu sprechen. Es erstaunte Arvid, dass er gegen das Gebot verstieß, an diesem Ort die heilige Stille zu wahren, und noch mehr, dass er sich in dieser Stunde mit ihm austauschen wollte, nicht etwa mit seinen vielen Beratern, allen voran Bernhard dem Dänen. Doch Wilhelm hatte ein anderes Anliegen als Herluins Gesuch um Hilfe und seine Entscheidung, ihm diese zu gewähren.
    »Bei Gerlocs Hochzeit waren auch einige Mönche aus Poitiers anwesend. Sie sind in der Normandie geblieben. Ihr Abt hat sie nach Jumièges geschickt, um dort den Wiederaufbau zu unterstützen. Martin ist der Name des Ältesten und Weisesten von ihnen. Er wird Godoin als Abt von Jumièges folgen.«
    Arvid hatte schon davon gehört und sich gewundert, dass es ihn so wenig berührte. Jumièges, einst Mitte seines Lebens, schien so unendlich weit fort. Erst jetzt fragte er sich, was Godoin wohl davon hielt, dass man ihm einen anderen vorsetzte. Auch wenn es ihn demütigte – gewiss machte er wie immer kaum Worte und tröstete sich damit, dass die Mönche von Poitiers viel Geld brachten, Jumièges darum in viel kürzerer Zeit das blühende Kloster von einst werden konnte.
    »Gott wird es allen danken, die einen Beitrag leisten«, murmelte er, »den Mönchen selbst, Wilhelm Werghaupt, Euch …«
    »Ich bin so müde«, fiel Wilhelm ihm jäh ins Wort.
    Arvid hob überrascht den Blick. Wie war es möglich, dass der Graf nicht die Erregung seiner Krieger teilte? Dass in seinem Blick vielmehr Schmerz stand und Überdruss?
    »Irgendwann«, fuhr er fort, »irgendwann, wenn Richard alt genug ist, werde ich mich nach Jumièges zurückziehen und dort meinen Lebensabend verbringen. Das habe ich auch Abt Martin gesagt.«
    »Und was meinte er dazu?«
    Wilhelm starrte auf seine Hände. »Dass der Herr mich auf diese Welt geschickt hat, um Graf zu sein, nicht Mönch. Und dass ich das Schicksal nicht herausfordern soll. Aber ich denke mir … wenn ich nur lange genug Graf bin, und obendrein ein guter, dann wird das dem Schicksal doch irgendwann genügen.«
    Arvid musterte Wilhelm eindringlich. War dies der eigentliche Grund, sich gegen Arnulf zu stellen? Gar nicht so sehr das Streben nach Gerechtigkeit, nur die Hoffnung, dass er irgendwann allen ausreichend bewiesen hatte, ein starker Graf und der würdige Sohn seines Vaters zu sein?
    Plötzlich fühlte er etwas für Wilhelm, was ihm bisher fremd war – Mitleid. Und plötzlich war da eine Nähe zwischen ihnen, die er nicht kannte, gezeugt von einer gemeinsamen Sehnsucht – nach Seelenfrieden, nach dem Ende von Zerrissenheit.
    »Du kannst ihnen folgen«, sagte Wilhelm unvermittelt.
    »Wem?«, fragte Arvid verständnislos.
    »Den Mönchen von Poitiers nach Jumièges. Ich weiß, dass du dich sehnst, dort zu leben. Genauso wie ich. Und wenigstens du solltest nicht lange Jahre darauf warten müssen …«
    Auf diese Worte hatte Arvid oft gehofft. Dass sie ausgeblieben waren, dass Wilhelm scheinbar nicht sah, was er ihm antat, wenn er auf seine Gesellschaft pochte, oder dass er es sah, ihm aber womöglich nicht gönnte, was er selbst nicht haben konnte, hatte ihn oft mit Hader erfüllt. Nun fühlte er sich ob seiner Großzügigkeit kleinherzig. Vor allem aber fühlte er sich unwürdig. Er hatte zu viel getrunken, er hatte sich mit Johan geprügelt, er hatte mit Mathilda Unzucht getrieben. Für all das hatte er keine Buße getan. Und ausgerechnet jetzt, da die Sünde an ihm haftete wie Schmutz unter den Nägeln eines Bauern, der in der Erde gräbt, sollte er nach Jumièges zurückkehren und sein Gelübde ablegen?
    »Ich werde an Eurer Seite bleiben«, sagte er schnell, ehe er sich anders entscheiden konnte.
    Wilhelms Miene hellte sich auf, und Arvids schlechtes Gewissen wuchs. Offenbar war der andere überzeugt, er unterdrücke seine wahre Sehnsucht aus Treue zu ihm, nicht aus Verachtung vor sich selbst. Aber vielleicht konnte er gerade deshalb dem Grafen etwas geben, was er Mathilda nicht zu bieten gehabt hatte und dessen Fehlen sie womöglich erst zu der überstürzten Flucht aus Rouen getrieben hatte: ein Erbarmen, das nicht besudelt war von Verwirrung, Unentschlossenheit und Reue, Angst vor sich selbst und blanker Wut ob dieser Angst.
    Entwischt. Wieder war Mathilda entwischt.
    Als ein Leichtes war es ihm erschienen, sich während der Hochzeitsfeierlichkeiten an ihre Fersen zu heften und die Menschenmenge und ihr wildes Treiben zu nutzen, um sie aus der Burg zu

Weitere Kostenlose Bücher