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Kinder des Monsuns

Kinder des Monsuns

Titel: Kinder des Monsuns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Jimenez
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steht immer ein Aufpasser, der darauf achtet, dass kein Gast das Gebäude ohne seine Fremdenführerspitzel verlässt. Das Reich der Dunkelheit ist ein gewaltiges Gefängnis, das von 1,2 Millionen Soldaten, 200 000 Polizisten und Zehntausenden von Informanten bewacht wird. Niemand kommt ohne die Genehmigung seiner Wächter hinein oder heraus. Pünktlich bei Tagesanbruch heulen jeden Tag Sirenen auf, und eine kreischende Stimme dringt über Lautsprecher bis in die Schlafzimmer jedes Wohnblocks vor. »Die Revolution ist eine alltägliche Pflicht!«; »Wir sind dem Großen Führer treu«; »Wir errichten einen mächtigen sozialistischen |225| Staat!« Es ist der Weckruf des Geliebten Führers, der Beginn eines neuen Tages im letzten waschechten stalinistischen Paradies auf Erden, ein unvergleichlicher Vergnügungspark der Tyrannei, wo es an nichts mangelt, von Gulags bis zu Folterkammern, von Umerziehungslagern für verirrte Geister bis hin zu Labors für die Erforschung von Massenvernichtungswaffen. Ich glaube, hier wird es mir gut gehen.
    Mein erster Tag in Kimland beginnt mit einer obligatorischen Hommage an den Schöpfer dieser politischen Ausgeburt. Wir brechen pünktlich auf, man zeigt mir, wo ich einen Blumenstrauß kaufen muss und bittet mich, vor der Statue des Großen Führers auf die Knie zu fallen. Schon seit über 3 000 Tagen trägt das Land Trauer, doch weiterhin beweinen die Menschen ihn an Straßenecken, vor seiner Statue, bei Besuchen seines Geburtsortes und der staatlichen Museen, wo die Fremdenführer darauf abgerichtet sind, mit Rührung von den unglaublichsten Fantasiegeschichten über das Leben Kim Il Sungs zu berichten, in endlosen Erzählungen, die immer weitergehen, bis die Zuhörer in Tränen ausbrechen.
    Ausnahmslos alle tragen eine Anstecknadel mit dem Bild eines der beiden Kims. Ihre Porträts zieren Schulen, Fabriken und Büros, sie finden sich in den U-Bahnstationen, auf den Straßen und in jedem Haus. Glaubt man dem Regime, sind die Nordkoreaner weit davon entfernt, der Porträts ihrer Despoten überdrüssig zu sein, sie schätzen sie sogar mehr als ihr eigenes Leben. Ich bewahre noch immer den Ausschnitt einer grotesken Meldung der amtlichen Nachrichtenagentur KCNA von einem Unglück in Ryongchon im April 2004 auf, bei dem Hunderte von Menschen starben, als ein Zug bei der Fahrt durch die Stadt explodierte. Angeblich hatten die Überlebenden als Erstes die Bilder des Geliebten Führers aus ihren Häusern zu retten versucht, noch »bevor sie nach ihren Angehörigen und ihrer Habe suchten«.
    Kim der Sohn ist im heimischen Fernsehen ein allgegenwärtiger Anblick, immer mit seiner Dauerwelle – einem Gerücht zufolge |226| ließ er einmal seinen Friseur hinrichten, weil dieser nicht den richtigen Schnitt getroffen hatte –, den Plateauschuhen, um größer zu wirken, dem olivgrünen Anzug und der großen, quadratischen Brille. Kim weiht eine Fabrik ein, Kim führt den Vorsitz irgendeines Komitees, Kim nimmt die Ovationen des Volkes entgegen. Kim, Kim, Kim… Des Nachts, in meinen Träumen, gelingt es mir, einen Interview-Termin mit Kim Jong Il zu bekommen. Wir sitzen in einem großen, mit Bildern seines Vaters geschmückten Saal und sprechen über das Kino und die Frauen, seine beiden großen Leidenschaften, während wir einen der 10 000 edlen Tropfen aus seinem privaten Weinkeller schlürfen. Ich will ihm gerade eine Frage stellen, habe aber einen Aussetzer. Er schaut mich an, lächelt und sagt: »Wollten Sie mich etwas fragen?« In diesem Moment wache ich auf.
    Wir besuchen die Bibliothek, wo Tausende junger Menschen die Bücher studieren, die Kim geschrieben hat. Ich erwerbe zwei von Kim dem Sohn,
Über die Filmkunst
sowie ein Handbuch über guten Journalismus, in dem er die einheimischen Journalisten für ihre Unfähigkeit kritisiert, »die revolutionären Ideen des Großen Führers ausreichend zu verbreiten«. Ich hätte noch ein paar weitere Exemplare für jene Kollegen kaufen sollen, die dazu neigen, sich über die Unannehmlichkeiten ihres Berufes zu beschweren. Ein nordkoreanischer Journalist wird nicht etwa wegen Kritik am Regime in den Kerker geworfen, sondern dafür, es nicht mit ausreichender revolutionärer Leidenschaft zu rühmen.
    Schließlich zeigen mir Herr Pak und Frau Sim einen Garten voller roter Blumen, die zu Ehren Kims des Sohnes
Kimjongilias
heißen, und einen weiteren mit weißen Blumen, die zu Ehren Kims des Vaters in
Kimilsungias
umbenannt wurden. Der einzige Ort,

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