Kinder des Monsuns
wo man nicht auf das Bild von Kim dem Sohn stößt, sind die Banknoten, denn auf ihnen würde das Antlitz des Geliebten Führers beleidigt, zerknittert und abgegriffen, so als wäre er irgendwer.
»Wie gefällt Ihnen Ihr Reiseprogramm?«, fragt Herr Pak nach dieser Überdosis Führerkult.
|227| »Soll ich ehrlich sein?«
»Ja, selbstverständlich«, bestärkt er mich. »Die Wahrheit ist uns Koreanern wichtig. Die Wahrheit ist ein klares Gewässer, die Lüge ein trübes. Sehen kann man nur durch das saubere Wasser der Wahrheit.«
»Es ist ein erschöpfend revolutionäres Programm«, erwidere ich. »Ehrlich, ich glaube, ich habe genug von revolutionären Monumenten und Bildern der Kims gesehen. Wissen Sie, dass ich gestern Nacht vom Geliebten Führer geträumt habe?«
Herr Pak bemerkt, dass ich mit dem Programm nicht zufrieden bin und fragt, worüber ich mich freuen würde. Auf die Straße zu gehen, Menschen zu sehen, antworte ich. Gut, sagt er und verspricht, mit dem Amt zu sprechen und zu sehen, was sich da machen lässt.
»Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Im Erdgeschoss des Janggakdo-Hotels gibt es ein kleines Kasino, das, wie könnte es anders sein, von einem chinesischen Unternehmen betrieben wird. Es gibt ein halbes Dutzend Chinesinnen in ausgefallenen roten Kostümen, zwei oder drei Spieltische und einige Automaten. Es ist der Anfang dessen, was als die Öffnung Nordkoreas verkündet wird, begleitet vom Ende der Rationierungen, der Freigabe der Preise einiger Waren und von Plänen für eine Sonderwirtschaftszone als ökonomisches Experimentierfeld nach chinesischem Vorbild. Die Führer in Peking, die nicht auf ein starkes, demokratisches und vereintes Korea an ihren Grenzen erpicht sind, haben ihrem Verbündeten dazu geraten, sich der Medizin zu bedienen, die auch ihnen selbst gut getan hat: Kommunismus ohne Gleichheit, Kapitalismus ohne Freiheit.
Doch Kim Jong Il zweifelt. Es ist sicher, dass sein Land früher oder später zusammenbrechen wird, wenn er es nicht öffnet. Vielleicht wird er dann wie Ceausescu enden, festgenommen, erniedrigt und hingerichtet durch das Volk, dem er so großes Leid zugefügt hat. Schließlich ist sein Land eine wundersame Mischung aus |228| dem Rumänien des Genossen Ceausescu, dem China Maos und der Sowjetunion Stalins, gespickt mit ein paar Besonderheiten. Doch andererseits: Wenn er das Land öffnet, werden die Menschen Informationen aus dem Ausland bekommen, sie werden erkennen, dass sie die Paria der Welt sind, und von der Leidenschaft ihres Führers für Mercedes-Limousinen, Schweizer Luxusuhren und guten Wein erfahren. In diesem Fall könnte er ebenfalls wie Freund Ceausescu enden. Was also tun?
Während Kim Jong Il sich die Sache durch den Kopf gehen lässt, müht sich das Land weiter, den Rückstand im Kalender aufzuholen. Es scheint wirklich im Jahr 91 zu leben. Nichts ist aus dieser Epoche. Die Anzüge der Leute, die selten auf der Straße zu sehenden sowjetischen Autos, die Fabriken, die aus einem Geschichtsbuch über die Industrielle Revolution stammen könnten. Ich habe heimlich einige Fotos vom Kasino gemacht, doch die Wächter des totalitären Glaubens haben mich erwischt. Die Aufnahmen sind nicht sehr gut, haben dafür aber einen historischen Wert, ich würde sie gerne behalten. Der Polizist, der herbeigerufen wird, um einzuschreiten, beäugt den Fotoapparat, dreht und wendet ihn, drückt verschiedene Knöpfe und sucht verzweifelt den Film. »Film?«, fragt er ratlos. Ich zucke die Achseln und verrate ihm nicht, dass es sich um eine Digitalkamera handelt, ist es doch offensichtlich, dass er noch nie eine gesehen hat. Das ist die Chance, meine Aufnahmen zu retten. Er gibt mir die Kamera zurück. »Aus Japan, stimmt’s?«
*
Wieder bricht ein Tag im Reich der Dunkelheit an. Frau Sim und Herr Pak bringen mich auf die Restaurant-Straße, wo sich die Handvoll Restaurants von Pjöngjang befindet. Wir betreten eines davon. Es ist nicht notwendigerweise das traurigste – tatsächlich sind alle leer. Ich habe gewisse Vorbehalte gegenüber der nordkoreanischen Küche, seit mir in Yanji, einer Stadt an der chinesischnordkoreanischen |229| Grenze, ein ganz und gar lebendiger Fisch serviert wurde. Als mein Fremdenführer Lin und ich die Hälfte davon verspeist hatten, bewegte der Fisch unbegreiflicherweise weiter seinen Schwanz. »Wir Koreaner lieben frischen Fisch«, erklärte Lin, dem es Jahre zuvor gelungen war, aus Nordkorea zu fliehen und der nun davon lebte,
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