Kinder des Monsuns
Bußgeld bereinigen ließ, konnte sie heute ins Gefängnis bringen oder sogar das Leben kosten.
»Kommen Sie, schauen Sie, was wir hier haben«, sagte einer von ihnen und hob die Vorhänge, hinter denen etliche junge Frauen saßen. Die Wände der Wohnung waren mit alten Plüschpuppen und Fotos schöner koreanischer Schauspielerinnen geschmückt. Ein Radiator und Decken schützten die Damen vor der Kälte. Die jungen Frauen erhielten drei Mahlzeiten pro Tag, damit sie Gewicht zulegten, etwas Kleidung, die nicht allzu aufreizend war, nach dem Geschmack eines Mannes, der eine häusliche Ehefrau sucht, und Schminke, um sich schön zu machen. Alle warteten nervös auf jemanden, der käme und sie mit sich nähme.
Eine von ihnen war Soo Yun. Ausgehungert hatte sie ein Jahr zuvor mit letzter Kraft den Fluss überquert und war, kaum in China angekommen, von einigen Männern angesprochen worden, die ihr Hilfe anboten. Wochenlang gab man ihr zu essen und saubere Kleidung und kümmerte sich um sie. Sie glaubte, ihr Schicksal hätte sich endlich gewendet. Eines Tages brachte man sie in eine verlassene Fabrik in Yanji auf den Brautmarkt. Ein Mann bot 3 000 Yuan für sie, etwas weniger als 300 Euro, und zwei Tage später feierten sie mit Dutzenden von Gästen und einem großen Fest in seinem Geburtsdorf Hochzeit.
»Ich konnte nicht nein sagen, dann hätten sie mich zurück |241| nach Nordkorea geschickt«, erzählte mir Soo Yun, als ich sie kennen lernte. Sie lebte noch immer bei ihrem Mann und stand kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes. Sie war 33 und hatte ihre Situation als die beste Lösung akzeptiert. Dank ihres neuen Lebens in China konnte sie die Familie, die sie in Nordkorea verlassen hatte, am Leben erhalten. »Mein Mann ist kein schlechter Mensch«, versicherte sie. »Er behandelt mich in jeder Hinsicht gut. Was bleibt mir für eine andere Wahl?«
Soo Yun konnte sich noch glücklich schätzen. Die Mehrzahl der Brautkäufer von Jilin waren alte Männer, hatten einen körperliches oder geistiges Gebrechen oder waren Bauern ohne Geld und Bildung, die ihre gesamten Lebensersparnisse aufboten, um eine Frau zu erwerben. Aus Angst, die Polizei könnte entdecken, dass ihre Frauen Flüchtlinge waren, und sie ihnen wieder wegnehmen, kam es nicht selten vor, dass sie Tag und Nacht vor den Augen der Welt weggesperrt wurden. Soo Yun dagegen war akzeptiert worden, weil das Dorf ihres neuen Ehemanns aufgrund der Frauenknappheit auszusterben drohte. Die Polizei hätte bis zum letzten Dorfbewohner alle mitnehmen müssen, um sie von dort fortzubekommen.
Die nach Kimland zurückgeschickten nordkoreanischen Frauen werden dagegen wie der letzte Abschaum behandelt. Paragraph 47 des nordkoreanischen Strafgesetzbuches erklärt Republikflüchtlinge zu »Staatsfeinden«, und Kinder, die aus der Verbindung mit einem Ausländer stammen, werden als künftiger Feind betrachtet, der ins Land geschleust wurde, um die Reinheit der nordkoreanischen Gesellschaft zu unterwandern.
Die Organisation Menschenrechte ohne Grenzen befragte Frauen, die nach Nordkorea zurückgeschickt worden waren und denen nach Jahren in den Kerkern des Regimes die Flucht nach Südkorea gelungen war. Alle berichteten von brutalsten Misshandlungen: Gefängnisinsassinnen wurden gezwungen, die Kinder ihrer Zellengenossinnen zu misshandeln, um nicht selbst gefoltert zu werden; Neugeborene wurden in Plastikbeuteln erstickt, zugebunden mit |242| den Nabelschnüren ihrer Mütter; Kleinkinder wurden kopfüber im Innenhof der Gefängnisse aufgehängt, bis sie starben.
Wieder sträubte sich in mir alles, zu glauben, dass selbst ein kranker Geist zu solchen Grausamkeiten fähig sein könnte. Erst die Zeugenaussagen anderer Frauen, die sich untereinander nicht kannten, überzeugten mich schließlich. Solche Bestialität ist wirklich möglich in Gesellschaften, die von einer Ideologie zerfressen sind – wie die Nordkoreas.
*
Dank der Fürsorge von Frau Fang hat sich Kim rasch erholt. Seine Haut hat wieder die rosige Farbe der Lebenden, seine Augen leuchten wieder und seine Muskeln sind ausreichend gestärkt, um ihn auf den Beinen zu halten. Der Augenblick ist gekommen, zu seinen Geschwistern zurückzukehren, die in ihrem Dorf in Nordkorea auf ihn warten. Kim ist glücklich in China, nie hätte er gedacht, dass er so viel essen könnte, aber er ist auch unruhig. Er möchte so schnell wie möglich aufbrechen, um Lebensmittel in sein Dorf zu bringen und die Seinen zu retten. Ihn
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