Kinder Des Nebels
Erinnerungsvermögen zu schaffen.«
»Wie?«, fragte Vin.
Sazed schüttelte den Kopf. »Vielleicht ein anderes Mal, Herrin. Meinesgleichen ... wir ziehen es vor, unsere Geheimnisse für uns zu behalten. Der Oberste Herrscher jagt uns mit bemerkenswerter und verstörender Leidenschaft. Wir sind viel weniger bedrohlich als die Nebelgeborenen. Dennoch lässt er die Allomanten in Ruhe und versucht uns zu vernichten. Die Menschen von Terris hasst er wegen uns.«
»Er hasst sie?«, fragte Vin. »Ihr werdet doch besser als alle Skaa behandelt. Man gibt euch geachtete Stellungen.«
»Das stimmt, Herrin«, sagte Sazed. »Aber in gewisser Hinsicht sind die Skaa freier als wir. Die meisten Terriser sind von Geburt an zum Dienen und Verwalten bestimmt. Es gibt nicht mehr viele von uns, und die Zuchtmeister des Obersten Herrschers kontrollieren unsere Fortpflanzung. Keinem Diener oder Verwalter aus Terris ist es erlaubt, eine Familie zu gründen oder gar Kinder zu haben.«
Vin schnaubte. »Das ist doch wohl kaum erzwingbar.«
Sazed schwieg und legte die Hand auf das große Buch. »Doch«, sagte er schließlich und zog dabei die Stirn kraus. »Alle Terriser in meiner Stellung sind Eunuchen, mein Kind. Ich dachte, Ihr wisst das.«
Vin erstarrte und errötete dann heftig. »Ich ... es ... tut mir leid ...«
»Ihr müsst Euch wirklich und ehrlich nicht entschuldigen. Ich wurde gleich nach meiner Geburt kastriert, so wie es bei denen üblich ist, die für den Posten des Haushofmeisters vorgesehen sind. Oft würde ich mein Leben gern gegen das eines gewöhnlichen Skaa eintauschen. Mein Volk ist noch weniger wert als Sklaven. Wir sind Automaten, erschaffen von Zuchtprogrammen und von Geburt an darauf ausgerichtet, den Wünschen des Obersten Herrschers zu entsprechen.«
Vin spürte, dass ihr Gesicht noch immer rot war, und sie verfluchte ihren Mangel an Taktgefühl. Warum hatte ihr das niemand gesagt? Doch Sazed schien nicht verärgert zu sein - er schien sich nie über irgendetwas zu ärgern.
Vermutlich liegt das in seiner Art begründet,
dachte Vin. Sicherlich war es das, was die Zuchtmeister haben wollten: gelehrige, ausgeglichene Verwalter und Haushofmeister.
»Aber du bist ein Rebell, Sazed«, wunderte sich Vin. »Du kämpfst gegen den Obersten Herrscher.«
»Ich bin so etwas wie ein Abweichler«, gestand Sazed ein. »Und mein Volk ist nicht so vollkommen unterworfen, wie es der Oberste Herrscher glaubt. Wir verstecken Bewahrer vor seiner Nase, und einige von uns haben sogar den Mut, die Ausbildung abzubrechen.«
Er verstummte und schüttelte den Kopf. »Das ist allerdings nicht einfach. Wir sind ein schwaches Volk, Herrin. Wir sind stets bemüht, das zu tun, was man uns aufträgt, und unterwerfen uns schnell. Selbst ich, den Ihr einen Rebellen nennt, habe mir eine Position der Dienstbarkeit und Unterwerfung gesucht. Wir sind nicht so tapfer, wie Ihr es vielleicht gern hättet.«
»Du warst tapfer genug, mir zu dienen«, sagte Vin.
Sazed lächelte sie an. »Aber auch darin lag ein Element des Gehorsams. Ich hatte Meister Kelsier versprochen, mich um Eure Sicherheit zu kümmern.«
Aha,
dachte sie. Sie hatte sich schon nach den Beweggründen für seine Handlungen gefragt. Wer würde schließlich das eigene Leben aufs Spiel setzen, nur um Vin zu retten? Eine Weile saß sie gedankenverloren da, und Sazed wandte sich wieder seinem Buch zu. Schließlich zog sie die Aufmerksamkeit des Terrisers wieder auf sich. »Sazed?«
»Ja, Herrin?«
»Wer hat Kelsier vor drei Jahren verraten?«
Sazed legte seinen Federkiel wieder beiseite. »Die Fakten sind unklar, Herrin. Ich glaube, die meisten aus der Mannschaft nehmen an, dass es Mare war.«
»Mare?«, fragte Vin erstaunt. »Kelsiers Frau?«
Sazed nickte. »Sie scheint eine der Personen zu sein, die es hätten tun können. Außerdem hat der Oberste Herrscher persönlich sie in diese Sache hineingezogen.«
»Ist sie denn nicht auch in die Gruben geschickt worden?«
»Sie ist dort gestorben«, sagte Sazed. »Meister Kelsier ist nicht sehr mitteilsam, was die Gruben anbelangt, aber ich spüre, dass die Wunden, die er von diesem schrecklichen Ort davongetragen hat, viel tiefer gehen als die Narben, die Ihr an seinen Armen gesehen habt. Vermutlich weiß er nicht mit Gewissheit, ob sie die Verräterin war oder nicht.«
»Mein Bruder hat immer gesagt, dass jeder dich verraten wird, wenn er nur die Gelegenheit und ein gutes Motiv dazu hat.«
Sazed runzelte die Stirn. »Selbst wenn
Weitere Kostenlose Bücher