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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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glaube, der Name war * Dietrich 3 ) wurde eine Statistik gegeben, w[o]nach das dritte Reich beim Vereinheitlichen und Entliberalisieren und Entfernen aller Juden und jüdisch Versippten die deutschen Blätter von rund 3 500 auf rund 2 500 eingeschränkt habe: Nun fehlt es auch für diese an Lesern, obwohl das Abonnement des Stürmers und ähnlicher Excremente an vielen Stellen ein zwangsweises ist. Ich glaube keineswegs, dass nur die Concurrenz des Radios daran schuld ist. Die Leute haben es satt, immer dasselbe zu hören und zu wissen, dass sie die Wahrheit doch nicht hören. Bleibt nur ein psychologisches Rätsel, das mi[r] zum erstenmal in Italien 1914 entgegentrat. Damals sagte mir irgendwer von irgendeinem Blatt: Alle wissen und alle sagen es immer wieder E pagato, 4 und trotzdem lassen sie sich beeinflussen und glauben! Damals dachte ich: Analphabeten-Mentalität kindlicher Völker! Bei uns in Deutschland wäre es unmöglich! und jetzt? * Marta Wiechmann, gebildete Lehrerin, Demokratin, Schwester eines amtsentsetzten preussischen * Generalstaatsanwalts: Ich habe einen Vortrag über Russland gehört ... schrecklich!! Da ist es doch besser[] usw. usw.
    * Storm Jameson Triumph der Zeit, der grosse Roman (1927–31 veröffentlicht), der uns erst so sehr interessierte, lie[s]s immer mehr nach so dass wir die letzten 200 der etwa 500 engbedruckten grossen Seiten für un[s] durchblätterten. Das Sociale tritt in den Hintergrund, und alles verliert sich in gewiss sehr feinen Liebesschilderungen, die ebensogut noch weitere 500 Seiten umfassen könnten, und die das Charakterbild der Heldin nicht vervollständigen sondern nur variieren. Jetzt ein kürzerer englischer Gesellschaftsroman: * E. Waugh: Eine Handvoll Staub (A handful of dust). 5 Sehr fein, einiges sehr humorvoll (wie der kleine Lord reiten lernt und vom Stallknecht abfärbt – eine betrunkene Scene u.a.) aber von einem unbegreiflichen Pessimismus. Wirklich unbegreiflich denn der vernichtende Ehebruch aus purer Caprice und ohne alle Passion nach jahrelanger Ehe bleibt unverständlich. Famos die Schilderung des feudalaristokratischen Herrensitzes und der Geldknappheit der Besitzer, dazu die ganz oberflächliche und amoralische Londoner Gesellschaft. Der Roman spielt in unmittelbarer Gegenwart, die Daten des Helden und Opfers sind 1902–1934. Auffällig sind etliche an den Haaren herbeigezogene stark antisemitische Bemerkungen.
    Die * Rousseauarbeit hat nach Reinschrift der Grundzüge starke Unterbrechung erfahren. Einmal ist mir der Abschnitt Vita überhaupt unsympathisch, weil ich auf Abschreiben angewiesen bin, sodann habe ich mich mühsam durch den Wälzer: * Jansen 1 J. J. Rousseau als Musiker[] durchgearbeitet, dann waren da die * Lillitage und ihre Nachwehen, dann musste ich durchaus einmal an * Walter und an * Lissy Meyerhof schreiben (Copien in dieser Mappe 2 ), dann kam gestern der Choc des öffentlichen Ärgernisses, dann habe ich heute die erste Taghälfte beim Tagebuch verbracht und bin noch unrasiert, und wenn sich das Wetter hält werden wir wohl nachmittags ein bisschen fahren. Aber spätestens morgen will ich nun weiter. Übrigens ist die erste halbe Seite schon neulich geschrieben worden.
    Mit Lilli wurde mehrfach über das Thema Kinderhaben gesprochen. Sie will nicht, mindestens noch nicht, auch sie hat die Auffassung, dass dies nicht m das Eigentliche und Wichtige in der Ehe sei. (Dazu braucht man nicht zu heiraten.) Sie erzählte, wie seltsam sie es gefunden habe, dass ihr * Vater sie danach fragte, dass er es als ihre Pflicht ansah, vor allem aber, dass er überhaupt dies Thema berührt habe. Früher hätte er das um keinen Preis getan. Zum Begriff unpassend habe ich mir neulich erst eine Notiz gemacht (als ich * Marta zum Geburtstag gratulierte). Im Jahre 1902 war * Wally sehr chockiert, dass ich wenige Tage nach * Lottes Geburt zu Besuch nach Wriezen kam. Ein Primaner macht keinen Wochenbesuch, der hat von so unschicklichen Dingen nichts zu wissen. Fast dreißig Jahre später war * Ge[o]rg entrüstet und tadelte mich in einer besonderen Karte, weil ich in einem Hochzeitsglückwunsch für seinen * ältesten Sohn von Kindern gesprochen hatte.
     

 
    Sonntag, 4. Oktober
    Finanzielle détresse bis zur Verzweiflung; eine ganze Reihe notwendiger Zahlungen musste auf den Oktober geschoben werden, der nun wieder überlastet ist. Mir bleiben etwa 160 M. für den Tagesgebrauch von 31 Tagen. Incl. Benzin.
    Eine ganze Woche habe ich den Wagen gar

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