Klemperer, Viktor

sondern für jede kleinste Aktion, die er allein (ohne jede Hilfe od. Gemeinschaft) ausführt, heisst es wieder und wieder (ein Dutzend mal mindestens): das kann man ORGANISIEREN. (Mechanisiertes Schlagwort). – Ich muss meine * Rousseau-Beobachtungen mit dieser Sprachstudie verbinden. – * Spamer, der sich so verächtlich über die Volkspsyche ausgesprochen hat und jetzt die Reichsstelle für Volkskunde leitet, ist Herausgeber eines Sammelwerks Deutsche Vk. Eben zeigt der Verlag an: nach 5 Monaten zweite Auflage! Wie kann das Werk zu Spamers Grundideen passen? Genau so wie der nordische * Friedrich der Große zu * Kühns Ideen. Und DAS sind die menschlichsten unter meinen ehemaligen Kollegen! wahrhaftig: Fiamme dal Ciel! 3 – Auch auf den Congress zur Erforschung des Judentums, der eben tagte und seine Ansichten über die jüdische und germanische Naturwissenschaft muss ich achten – nicht mit ganz reinem Gewissen, denn ein wenig bin ich ja selber durch meine Kulturkunde 4 auf die schiefe Ebene geraten).
    Eine anschlussbedürftige Karte von * Grete, sie sei alt, leidend, komme nicht mehr aus dem Haus oder Garten. 50 % davon werden wahr sein. Ich antwortete in beiliegendem Brief; 50 % davon werden wahr sein. Wir spielen immer ... Ein ausführlicher und zufriedener Brief von * Betty Kl. aus Cleveland, Ohio. Sie lebt sich ein u fühlt sich wohl. Sie hat ihre erste Auto-Fahrstunde gehabt. B. lebt mit ihrem Jüngsten zusammen ( * Wolfgang), der Arzt am dortigen Hospital ist.
    Auf der Pragerstr. eilt im Gedränge ein junger Mann an mir vorüber, ein Wildfremder, dreht sich halb um sagt strahlend: Ich habe Arbeit – das erstemal seit drei Jahren – und fein – bei * Renner 5 – die zahlen doch! – auf vier Wochen! – und rennt weiter.
    Ich schrieb * Martin Sussmann ein paar Zeilen zu seinem Geburtstag. Das war peinlich wegen einer Armut der Sprache. Denn Ich wünsche Dir Glück heisst beides: Ich wünsche dir Glück für deine Zukunft und zugleich: ich freue mich, dass du dich in einem glücklichen Zustand befindest.
    In den letzten Wochen, meist an * E. s Bett, las ich * Spielhagen In Reih und Glied 6 vor, nach 23 Jahren! * Anders lesen Knaben den * Terenz, anders * Grotius. 7 Ich kann mir nicht denken, dass ich das Buch zur Zeit meiner Dissertation verstanden habe; ich muss das nachlesen. Wir haben uns vorgenommen (mit Pausen) in der erneuerten Spielhagenlektüre fortzufahren.

    Inzwischen ist das dritte * Rousseaucapitel fertig, zur Hälfte auch schon in der Maschine.
     

 
    26. November, Donnerstag.
    Gestern, bei schönem leichtem Frost in plötzlichem Entschluss nach Pi[s]kowitz auf Kartoffelkauf und Besuch zu * Agnes. ([R]adeberg, Pulsnitz, Kamenz, dort unvermeidliches Sichverfahren, dann Piskowitz. eine herrliche Fahrt und besondere Beglückung, dass sie nun so viel leichter und schneller ging als am 10. Mai.
    Besonders schön die Hinfahrt durch den leicht bestreuten Winterwald bei hellem nicht blendenden Wetter. Zurück 4– ½ 6, Nebel, Mondschein, immer halb-, oft ganz dunkel, etwas anstrengend, aber auch sehr schön, zumal wo ich im Wald ohne Entgegenkommende längere Strecken mit Scheinwerfer glatt und eilig fahren konnte. Eine gewisse Romantik. Einmal trat ein grosses hellbraunes Reh an den Strassenrand und lief gleich wieder in den Wald zurück, ohne zu kreuzen. – Bei * Agnes alles im wesentlichen unverändert. Wir kauften einen Sack Kartoffeln und bekamen als Weihnachtsgeschenk einen wunderschönen Hahn, der geschlachtet wurde. Es geht mir immer peinlicher auf die Nerven, dass man Haustiere schlachtet, das Töten überhaupt – ich rette jetzt jede Spinne aus dem Ausguss, ehe ich den Wasserhahn aufdrehe –, aber das ist senile Sentimentalität, und mit schlechtem Gewissen schmeckt mir das Fleisch wie vorher im gewissenlosen Zustand. Aber immer wieder bewundere ich, wie diese bäuerlichen Menschen naiv das Lieben und Schlachten vereinigen. * Der kleine Junge schleppt zärtlich eine Henne ins Zimmer, der * Vater pfeift zärtlich seinen Tauben, und nachher schneidet er seelenruhig dem Hahn den Hals ab, lässt das Blut des zuckenden Tiers auf den Boden laufen und lässt den kleinen Jungen zusehen. Politisch ist * Scholz in seinem penetranten Katholicismus durchaus Gegner der Nazis. Sie sind ihm Feinde Gottes und der Kirche. Sie haben uns jetzt einen Jägermeister hergesetzt, das ist ein schlechter Mann, er ist geschieden. Er erzählt von vieler Arbeitslosigkeit in Kamenz (die Arbeitslosigkeit wird