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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Gesellschaft.
    Dann las ich noch vor * Pearl Buck Die Frau des Missionars (The Exile). 6 Überaus bedrückend und überaus fremd, fremder als ihre Chinaromane, aber ungeheuer interessant und lehrreich, ich werde es sicher noch einmal lesen müssen, wenn – s. o. Es ist kein Roman, sondern die Lebensgeschichte der Mutter (und des Vaters). Er ist orthodoxer Pionier--Miissionar in China, in ihr ein puritanisches Suchen nach Gott und Angst vor der eigenen Lebenslust und Skepsis. Dazu der merkwürdigste immer wieder betonte amerikanische Nationalismus. Auf was empor?, wie * Gusti Wieghardt in österreichischem Ghettodeutsch zu sagen pflegte. Es wird doch das Holländertum und das Fürsichbleiben der in den vierziger Jahren einwandernden Grosseltern geschildert. Allgemeine sich aufdrängende Frage: was macht den amerikanischen Nationalismus aus? Jedenfalls bestimmt nicht das Blut. Vielleicht ist er der geistigste aller Nationalismen. – Ich verstehe jetzt, wie die * Buck zu ihrem Bibelstil kommt. Wenn der vom Vater verprügelte fünfjährige Clyde trotzig singt: Vorwärts ihr Streiter Christi! Er kennt keine andern Lieder als die geistlichen, sie drücken ihm auch mit Selbstverständlichkeit sein Profangefühl aus.
    Das Buch hat uns * Annemarie Köhler mit einem rätselhaften Schreiben zu Weihnachten geschickt: sie habe im September ihren Urlaub zu Hause vorzeitig abbrechen müssen, seitdem keine ruhige Minute gehabt, sie komme bald einmal. Ich schrieb ihr einen herzlichen aber recht ernst gehaltenen Brief, ich hätte sie nicht aus Empfindlichkeit aber notgedrungenermaßen abbuchen zu müssen geglaubt, wie so viele andere. Sie möge von sich hören lassen. Ic[h] gratulierte auch * Dressel, sofern er sich noch nicht auf die Pflichten des wahren Deutschen besonnen habe. Es kam bisher keine Antwort.
    Auch von * * Wenglers seit vielen Monaten nichts mehr.
     

 
    Montag, 18. Januar.
    Einen Augenblick glaubte ich vorige Woche, es wäre so weit, um Spanisch-Marokko bräche der Krieg aus: Am nächsten Tage Friedenserklärungen * Hitlers und Frankreichs. 7 Niemand glaubt sie, die Spannung ist genau die gleiche wie zuvor und alles auf dem alten Fleck.
    In dieser Woche hoffe ich den Emile-Abschnitt im Ms. zu beendigen. Die ganze * Rousseau[a]rbeit wird schon gut, mein Bestes und Reifstes überhaupt. Aber ich arbeite in jeder Beziehung ohne Hoffnung. Es geht so langsam, nicht nur weil die Küche etc. den halben Tag beansprucht, sondern auch weil ich so rasc[h] ermüde, weder der Kopf noch die ewig entzündeten Augen geben mehr viel her.
    Wiederum gehen mir ständig mit dem * Rousseau zugleich allgemeinere Gedanken durch den Sinn. Zur Sprache des dritten Reichs und darüber hinaus. Dass Nationalliteraturen oder das nationale Element in den Literaturen zur Bedeutungslosigkeit und Engstirn-oder Lügengefahr der Heimatkunst herabgesunken sind. Dass [ an ] dem geistigen Zusammenschmelzen der Welt Radio, Film, Flugzeug zugrundeliegen. Dass man hier Technisches und Geistiges, Körper und Seele nicht mehr trennen kann. Dass auf die * Hitlerdoktrin passt: []. ... und nicht begreift, dass sie verstorben ist. 1 Dann die ewige Mission, die ewige Vorkämpferschaft des jüdischen Geistes. Jetzt hat die Gottesgeissel H. für eine neue weltweite Diaspora gesorgt. * Georg schreibt aus Newtonville, * Betty und * Wolfgang schildern ihr Erleben (und die gleichen Autofreuden und -Leiden) in Cleveland, Ohio, ich bitte Georg um Empfehlung nach Tokio, * Mutter Schaps erzählt von ihrem Neffen in Sacramento, sie erzählt, dass * Blumenfeld in Lima Eignungsprüfungen für Aviatiker anstellt ... wer will noch den Weg der Internationale aufhalten (nicht im politischen Sinn und doch wieder AUCH im politischen Sinn)? Dazu die internationalen Momente in der Sprache des dritten Reichs. * Eva tut noch, wie ich hiervon spreche, die Ideencomplexe USA und GHETTO hinzu, die mir und uns schon so oft durch den Kopf gegangen sind. All das müsste einmal in die Einleitung zur Sprache des dritten Reichs. All das könnte mich einmal aus der französischen Literaturgeschichte zur amerikanischen hinüberführen. Aber ich bin so unendlich deprimiert, was die allgemeine Situation, und was meine Gesundheit anlangt. Zumeist glaube ich, dass alles das ungeschrieben bleibt und nicht einmal mein 18. Jh. fertig wird.
    Ich lese vor: * Seiji Noma, 2 Autobiographie des japanischen Zeitungskönigs. Auch hier das Herauswachsen aus dem Nationalen. Die Übersetzung aus dem Englischen muss

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