Knight 07 - Im Bann der Sehnsucht
Gesicht, oval und mit ein paar Sommersprossen, glänz- te vom Regen. Sie hatte hohe Wangenknochen, pfirsichfarbene Haut und eine gerade, perfekt geformte Nase.
Obwohl er gewöhnlich nur selten eine Jungfer in Not er- rettete oder überhaupt eine gute Tat beging, schüttelte er sei- ne kurzzeitige Benommenheit ab und war fest entschlossen, in diesem Fall eine Ausnahme zu machen und den Helden zu spie- len. „Guten Tag, Miss“, begrüßte er sie, bereit, ihr seine Hilfe anzubieten. „Wie ich sehe, haben Sie sich da oben in Schwie- rigkeiten gebracht.“
„Habe ich das?“, fragte sie mit schief gelegtem Kopf. „Wie kommen Sie darauf?“
Jack runzelte die Stirn. Ihre selbstbewusste Antwort verwirr- te ihn, eher hätte er einen Hilferuf erwartet. Unauffällig warf er einen Blick auf seine Männer, die die Achseln zuckten, genauso verwirrt wie er.
Dann wandte er sich wieder an das Mädchen, das die Arbeits- handschuhe auszog und sich ein Blatt aus dem Haar zupfte. „Ist alles ... äh ... in Ordnung?“
„Ich denke schon“, erwiderte sie und sah ihn an, als sei er eine Erscheinung. „Ist bei Ihnen alles in Ordnung?“
„Natürlich.“ Jack war noch immer verblüfft, und er begann sich zu fragen, ob sie dieselbe Sprache sprachen. „Das sieht da oben nicht sehr sicher aus“, bemerkte er. „Brauchen Sie Hilfe beim Herabsteigen?“
„Oh!“, erwiderte sie mit einem kurzen Auflachen. „Nein, ich brauche keine Hilfe. Aber ich bin sicher, dass Sie es gut gemeint haben“, fügte sie nachsichtig hinzu.
Jack starrte sie verständnislos an. „Was um Himmels willen tun Sie da im Baum?“
„Ich studiere Epiphyten.“
„Epi...was?“, fragte Higgins.
„Orchideen“, erklärte sie.
„Das sind diese parasitären Blumen, die überall auf den Bäu- men wachsen“, erklärte ihm Jack mit einer spöttischen Bemer- kung und verschränkte die Arme vor der Brust. Dabei fiel ihm ein Vergleich mit den meisten Frauen ein, die er kannte, aber er behielt ihn für sich.
„Orchideen sind keine Parasiten!“, erklärte ihm die junge Frau empört.
Jack zog eine Braue hoch. Dieses Mädchen lief nicht nur nicht vor ihm davon, sie wagte es sogar, ihm offen zu widersprechen.
Offensichtlich wusste sie nicht, wer er war.
„Ganz im Gegenteil“, fuhr sie fort. „Und wenn Sie wollen, kann ich es Ihnen beweisen, denn ich habe soeben eine höchst erstaunliche Entdeckung gemacht.“
„Haben Sie?“, wiederholte er, überzeugt davon, dass ihre Ent- deckung nicht erstaunlicher sein konnte als die, die er soeben gemacht hatte – sie nämlich.
Sie nickte eifrig. „Ich habe soeben festgestellt, dass die Sym- biose zwischen den Epiphyten und diesen Baumriesen sogar
noch weiter reicht, als wir bisher vermuteten.“ In demselben Moment, da sie das ausgesprochen hatte, schien sie sich über sich selbst zu ärgern. Als sei ihr soeben eingefallen, wie langwei- lig solche wissenschaftliche Konversation in manchen Kreisen wirken könnte.
Jack war amüsiert. „Was Sie nicht sagen.“
„Soll ich es erklären?“, bot sie an, wieder mutiger geworden.
„Ich glaube nicht, dass sie viel herausbringen wird“, meinte Trahern leise.
„Von mir aus“, forderte Jack sie auf und verbarg seine Be- lustigung. Mit einem kurzen Befehl brachte er seine grinsenden Männer zum Schweigen.
Offensichtlich erfreut über sein Interesse, erwärmte sich das seltsame Mädchen für das Thema. „Oh, es ist sehr aufregend! Sehen Sie, diese Orchideen wachsen seit vielen Generationen auf diesem Ast, haben hier gelebt und sind hier verwelkt und dann abgestorben. Und im Laufe der Jahre haben sie sich ein eigenes Bett aus Erde und Mulch geschaffen. Aber sie brauchen keine Erde, um zu wachsen – sie sind keine Parasiten. Sie ha- ben besondere Wurzeln, die ihnen erlauben, Wasser direkt der Luft zu entziehen, sehen Sie, wie diesen Regen.“ Sie streckte die Hand aus, um ein paar Regentropfen aufzufangen, und blickte hinauf in das Blätterdach, aus dem es heruntertröpfelte.
Als sie den Kopf zurücklegte, fiel sein Blick auf das feuchte weiße Fichu am Ausschnitt ihres Kleides.
„Stimmt das?“, fragte er rau, als ihn plötzlich ganz unerwartet Verlangen durchfuhr.
„Natürlich. Hier!“ Sie beugte sich vor und warf ihm eine pur- purfarbene Blume zu. Jack traf fast der Schlag, denn er war fest davon überzeugt, dass sie vom Baum herunter und direkt in das Maul eines Krokodils fallen würde. Doch um ihre eigene Sicherheit schien sie sich nicht zu sorgen.
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