Knochengrube: Mystery-Thriller (German Edition)
Bretterwänden und einem gewaltigen Schrägdach, doch aus der Nähe bot sich ein anderer Eindruck. Die Fenster waren dreifach verglast und wärmedämmend, die Flügel des Tores bestanden keineswegs aus Holz, sondern aus verzinktem Stahl, und es hatte mehr Schlösser als der Tresorraum einer Bank. Mehrere Überwachungskameras waren direkt über dem Tor montiert und überwachten die Gegend in alle Richtungen.
Wie von Zauberhand wurden die Türen entriegelt, als sich al-Kalli näherte. Er hörte das dumpfe Klacken, gefolgt vom Sirren der Lüftung. Als er eintrat, bauschte sich sein schwarzer Anzug kurz auf. Dann schwangen die Torflügel wieder zu, sein Anzug legte sich wieder, und er stand in der Mitte seines Königreichs.
Oder dem, was er davon hatte retten können.
Zu dieser Stunde war es meistens ruhig, bis auf das Rascheln des Vogels. Für ihn war ein Horst konstruiert worden, hoch über dem, was offiziell eine Reitbahn mit natürlichem Erdboden war. Die gesamte westliche Wand bestand aus einer schulterhohen, weiß gefliesten Mauer von der aus Eisenstäbe noch einmal unglaubliche viereinhalb Meter in die Höhe reichten. Dahinter konnte al-Kalli seine Geschöpfe hören und riechen. Hin und wieder ertönte ein Heulen oder Jaulen, als er vorbeiging, und sie spürten, dass er da war, doch heute Abend hatte er nicht das Bedürfnis, stehen zu bleiben und sie zu beobachten. Heute hatte er Dringenderes zu klären, mit dem Mann, der am anderen Ende der Anlage nervös auf ihn wartete. Rashid in seinem schmutzigen weißen Laborkittel.
»Ist es noch nicht besser?«, fragte al-Kalli.
Rashid schluckte hart. »Nein, Sir. Das kann ich nicht behaupten.«
Al-Kalli erreichte den letzten Käfig, ein riesiges, gut dreihundert Quadratmeter großes Gehege. Der Boden bestand aus Erde, die aussah, als sei sie kräftig geharkt worden – oder als hätte etwas mit mächtigen Klauen darin herumgescharrt. Am Rand eines geschützt gelegenen Tümpels hatte man ein paar kleine Bäume und Büsche gepflanzt. Ein paar ausgeblichene Knochen, wie dünne Zweige in der Mitte zerbrochen, lagen verstreut auf dem Boden. Obwohl die Luft in der Anlage ständig ausgetauscht wurde, lag immer noch der unverwechselbare Geruch nach großen Tieren darin. Elefanten vielleicht oder Büffel.
Al-Kalli blickte durch die Gitterstäbe. Zuerst hatte er Schwierigkeiten, das Geschöpf zu entdecken. Ganz hinten hatte man eine Art Höhle gebaut, aus demselben grauen Kalkstein, aus dem einst das Haupthaus errichtet worden war. Zurückgezogen im tiefsten Winkel der Höhle, anfangs nur als gewaltiger, schwarzer Schatten erkennbar, ruhte al-Kallis am meisten geschätzter Besitz. Es bedeutete ihm sogar noch mehr als das Buch, das er der jungen Frau aus dem Getty anvertrauen würde.
»Hat er die Medizin genommen?«
»Nein, sehen Sie selbst, Sir.« Rashid deutete auf einen gewaltigen Haufen blutigen Fleisches, der seitlich neben dem Höhleneingang lag. »Die Medizin ist da drin.«
Al-Kalli setzte kein großes Vertrauen in die Medizin und immer weniger in Rashids Fähigkeiten. Rashids Vorfahren hatten dieses Bestiarium seit Urzeiten gepflegt, die Aufgabe war von einer Generation an die nächste übertragen worden. Seine Familie war ebenso alt wie die der al-Kallis. Deren Ursprünge lagen im Dunkeln, denn die Dynastie bestand bereits seit ewigen Zeiten. Al-Kallis Vorfahren hatten die Kreuzritter bekämpft, hatten in den Gärten Babylons gefeiert und mit nicht mehr als ein paar Fellen bekleidet den Fruchtbaren Halbmond, die Täler zwischen Euphrat und Tigris, durchstreift. Soweit al-Kalli wusste, hatten seine Urahnen Früchte von den Bäumen des Gartens Eden gepflückt.
Rashids Vorfahren waren die ganze Zeit über die loyalsten und vertrauenswürdigsten Diener der Familie gewesen. Ihnen allein hatte man die Geheimnisse des Bestiariums anvertraut, ihrer Fürsorge hatte man die Tiere unterstellt. Rashids Vater hatte ihm das uralte Wissen anvertraut, wie sein Vater es ihm anvertraut hatte, so wie dieser es von seinem Vater gehört hatte. Dann hatten die al-Kallis Rashid auf das College für Veterinärmedizin in Kairo geschickt, damit er sein Wissen um all die modernen Methoden der Tierpflege und -haltung erweiterte.
Doch jetzt stellte sich heraus, dass all das nichts fruchtete. Dieses Tier, das letzte seiner Art, kränkelte. Und Mohammed, an den das Vermächtnis weitergereicht worden war, fühlte sich, als würde er tausend Generationen vor ihm enttäuschen. Es schien ihm, als
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