Knochenhaus (German Edition)
verschwindet durch einen rosenumrankten Torbogen.
Schließlich gibt Nelson sich geschlagen. «Wir sind gerade dabei, die Knochen zu untersuchen. Es ist natürlich durchaus möglich, dass sie älter sind als das Kinderheim.»
«Soweit ich weiß, ist das Grundstück tatsächlich recht alt», sagt Hennessey. «Ich habe immer gehört, dass da früher einmal eine Kirche gewesen sein soll. Sie stand im Ruf, Leprakranke zu heilen.»
Eine Kirche. Der Archäologe hat von einem Friedhof gesprochen, aber es ist natürlich nur logisch, dass dann auch eine Kirche dort stand. Und genau so logisch ist es, dass Hennessey die Kirche wichtiger findet.
«Unser Expertenteam für forensische Archäologie», fährt Nelson fort, obwohl das eigentlich eine ziemlich hochtrabende Bezeichnung für Ruth, Trace und Ted den Iren ist, «vermutet, dass das Grab noch relativ neu ist. Es könnte ausgehoben worden sein, als die Türschwelle gelegt wurde.»
«Das Haus war schon zu meiner Zeit alt», sagt Pater Hennessey nachsichtig. «Aber Sie vermuten wahrscheinlich, dass die Leiche in der jüngeren Vergangenheit dort vergraben wurde.»
«Ich vermute gar nichts», sagt Nelson. «Ich habe mich einfach nur gefragt, ob zu Ihrer Zeit als Direktor vielleicht mal ein Kind verschwunden ist. Oder so was in der Art», setzt er nach einer kurzen Pause hinzu.
Hennessey steht von der Bank auf. «Gehen wir ein Stück», sagt er. «Wenn ich zu lange sitze, werden meine Gelenke steif.»
Sie durchqueren den Torbogen und spazieren zwischen den höher gelegenen Blumenbeeten hindurch. Hennessey streicht mit der Hand über die samtigen Blütenblätter. «Alberne Dinger», sagt er. «Ich habe nie begriffen, was die Leute immer mit Blumen haben.»
Nelson versucht es noch einmal mit dem Schweigetrick, und diesmal hat er Erfolg. Nach ein paar hundert Metern sagt Hennessey: «Eins will ich klarstellen, Detective Chief Inspector: In meiner ganzen Zeit dort gab es am KHH nicht einen einzigen Fall von Missbrauch. Da können Sie fragen, wen Sie wollen. Mit vielen unserer einstigen Bewohner stehe ich bis heute in Kontakt, und sie erinnern sich alle noch sehr gut an ihre Zeit bei uns. Ich weiß, heutzutage sucht man immer gleich nach Missbrauch, sobald ein katholischer Priester im Spiel ist, aber in diesem Fall werden Sie vergeblich suchen.» Er bricht ab und mustert stirnrunzelnd eine leuchtend rosafarbene Rose, die an einem niedrigen Mäuerchen emporwuchert. «Nichtsdestoweniger …»
Jetzt kommt’s, denkt Nelson und bemüht sich um eine völlig neutrale Miene.
«Nichtsdestoweniger …» Hennessey seufzt auf. «… sind während meiner Zeit als Direktor tatsächlich zwei Kinder verschwunden. Ein Junge und ein Mädchen. Es gab eine groß angelegte Suchaktion, doch wir haben sie nie gefunden. Ich habe mich oft gefragt …» Er spricht nicht weiter.
«Wie hießen die beiden?» Nelson zückt sein Notizbuch.
«Black. Martin und Elizabeth Black.»
«Und wie alt waren sie?»
«Martin war zwölf und Elizabeth fünf.»
Fünf. Nelson denkt an das kleine Skelett, das zusammengekauert unter der Türschwelle liegt.
«Wann sind sie denn verschwunden?»
«Anfang der siebziger Jahre. 1973, wenn ich mich recht erinnere.»
«Wissen Sie, warum sie weggelaufen sind?»
Hennessey setzt sich wieder in Bewegung. Sie verlassen den Rosengarten und gehen den Hang hinunter auf einen Zierteich zu. Auf den Bänken am Ufer sitzen Menschen, die sich aber nicht miteinander unterhalten. Vielleicht beten sie ja alle, denkt Nelson. Langsam wird ihm dieser Ort richtig unheimlich.
«Martin war ein intelligenter Junge», sagt Hennessey. «Hochintelligent sogar. Die Mutter war tot, und Martin war besessen von der Idee, seinen Vater zu finden, der angeblich nach Irland zurückgegangen war. Ich glaube, wir gingen damals alle davon aus, dass die Kinder sich dorthin aufgemacht haben, aber als wir den Vater endlich fanden, hatte er keine Ahnung, wo sie steckten. Er wusste allerdings nicht einmal den genauen Wochentag. Er war Alkoholiker und in einem äußerst desolaten Zustand, doch die Polizei fand keinerlei Hinweise auf ein Verbrechen.»
«Und die Ermittlungen wurden eingestellt?»
«Nach einiger Zeit, ja. Ich habe dann noch einen Privatdetektiv beauftragt, die Suche fortzusetzen, aber er hat auch nichts weiter gefunden. Und natürlich haben wir gebetet.» Sein Lächeln wirkt traurig.
«Hatten Sie je den Verdacht, sie könnten … entführt worden sein?»
Hennessey mustert ihn verärgert. Er
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