Kölner Kulissen
Sakkos.
»Nein«, sagt sie. »Du musst ja gleich noch zahlen.«
Er sieht sie an, und wieder erscheint diese Falte auf seiner Stirn. Genau in der Mitte, senkrecht, wie mit dem Lot gefällt. Paula wendet sich ab und gibt dem Taxifahrer zwanzig Euro.
»Sei mir bitte nicht böse, Vincent«, sagt sie und steigt aus.
Am nächsten Abend erwartet Anselm sie im »Heimspiel« auf der Zülpicher Straße. Auch heute wieder gelingt ihm durch sein Outfit und seine Manieren etwas Erstaunliches: Er gerät an den Rand der Kneipengesellschaft und gleichzeitig ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Schon jetzt, eine Dreiviertelstunde vor Anpfiff des Endspiels, ist das Lokal bis auf den letzten Platz gefüllt. Irgendein Fan-Accessoire trägt hier fast jeder – sei es ein Trikot der Nationalmannschaft, ein schwarz-rot-goldener Schal oder eine Hawaii-Blumenkette in denselben Farben. Kaum hat Paula die Kneipe betreten, malt ihr jemand mit einem dreifarbigen Schminkstift die deutsche Fahne auf die rechte Wange.
Anselm sitzt im hinteren Winkel des schlauchförmigen Raums. Er trägt schwarze Ledersandalen, eine schwarze Leinenhose und ein dunkelgraues Seidenhemd. Das allein macht ihn noch nicht zum Außenseiter. Doch vor ihm auf dem Tisch steht sein aufgeklappter Laptop. Anselm hämmert auf der Tastatur herum. Alle übrigen Gäste verfolgen die Vorberichte zum Endspiel auf einem der Fernsehschirme oder der Leinwand. Die Leinwand hängt direkt über Anselms Kopf. Aber Anselm schaut nicht ein einziges Mal nach oben. Er starrt auf den Monitor seines Computers.
Paula fragt sich, wie lange es dauern mag, bis einer der Fußballfreunde ihn durch einen Kommentar zu provozieren versuchen wird. Vielleicht ist das auch längst geschehen. Anselms Verhalten und Aussehen fordern seine Mitmenschen oft heraus. Meistens geht es jedoch friedlich aus, weil es normalerweise genügt, wenn Anselm von seinem Stuhl aufsteht. Schaut sein Gegenüber dann an Dr. Anselm Neiboldts trainierten zwei Metern vier empor, beruhigt er sich schnell wieder. Daran ändert auch der leichte Bauchansatz nichts, den Anselm zur Begrüßung gegen Paula drückt.
»Dicker geworden?«, fragt sie anstelle eines Grußes.
»Im Gegenteil«, protestiert er und zieht seinen Bauch übertrieben weit ein.
Beide lachen. Ihre Gespräche über Problemzonen gleichen Ritualen, die ebenso langweilig wie beruhigend sind.
»Zieh mal den Kopf ein, Langer!«, ruft jemand und deutet auf die Leinwand hinter Anselm.
Der entschuldigt sich und setzt sich wieder. Paula nimmt neben ihm Platz und bestellt ein Mineralwasser.
»Kein Kölsch?«, fragt Anselm. Über das schwarze Gestell seiner Brille sieht er ihr in die Augen.
»Nein, besser nicht. Ich hatte gestern ein bisschen zu viel.«
»Klingt interessant«, sagt er und lehnt sich zurück. Dabei verschränkt er die Finger vor dem Bauch, was der Aufforderung zu einem ausführlichen Bericht gleichkommt.
Er hätte Paula ohnehin nicht lange darum bitten müssen. Den ganzen Tag hat sie sich danach gesehnt, ihm von dem Abend mit Vincent zu erzählen. Mit Julia würde sie ganz anders darüber sprechen. Manches würde sie verschweigen. Vor allem, wie sie Vincent sozusagen zu sich eingeladen und dann im letzten Moment doch noch gekniffen hat. Für Julia würde Paula den Abend noch in dem Café auf der Aachener Straße enden lassen. Und Julia würde den Kopf schütteln, weil Paula sich Vincent hat entgehen lassen.
In ihrem Bericht für Anselm hingegen lässt Paula nichts aus. Mehrmals prustet er vor Lachen in sein Kölsch.
»Du hast ihm gesagt, dass er schwul aussieht?«
»Nicht direkt …«
»Aber doch ziemlich unmissverständlich.« Mit einer Serviette wischt Anselm Bierspritzer vom Monitor seines Laptops. »Ich sollte mich ein bisschen besser benehmen«, sagt er. »Es kommt nämlich noch wer.« Er erzählt, dass er ebenfalls jemanden kennengelernt habe. Marco wolle um halb neun hier sein.
»Und ich soll deine Anstandsdame spielen, oder was?«, fragt Paula.
»Warum nicht? Schließlich hättest du so jemanden gestern ganz gut gebrauchen können«, meint Anselm.
Zehn Minuten später – und damit viel zu früh – tritt ein schmächtiger junger Mann an ihren Tisch. Er hat halblanges blondes Haar und sieht Paula verunsichert an.
»Marco«, sagt Anselm und steht auf. Er überragt den anderen Mann um zwei Köpfe. »Ich darf dir Paula vorstellen, meine beste Freundin.«
Marco redet nicht viel. Paula kann nicht einschätzen, ob ihn ihre Anwesenheit oder
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