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Königin der Engel

Königin der Engel

Titel: Königin der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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werden das Dinner in einer halben Stunde für Sie fertig haben«, sagte Jean-Claude. »So bleibt Ihnen noch genug Zeit, zu duschen und sich von der Reise zu erholen.« Sie zogen sich zurück.
    Mary nahm die Haarbürste aus der Frisierkommode und untersuchte sie. Niemand schien daran herumgefummelt zu haben. Sie legte sie wieder an ihren Platz neben dem Kamm und dem Schminkset. Von nun an würde sie sie immer mitnehmen, wenn sie das Haus verließ.
    Sie atmete tief durch und holte ihre Tafel aus der schützenden Tasche. Sie gab eine Zahlenfolge ein – einen Sicherheitscode – und drückte dann auf zwei weitere Tasten. Die Tafel zeigte einen groben Grundriß des Raumes, in dem sie sich befand, und dann einen sauberen Plan des Hauses selbst, den sie aus den Feldstärken elektrischer Leitungen und überall im Haus aufgestellter Geräte gewann. Unter dem Schaubild stand: In diesem Gebäude gibt es keine leicht auffindbaren Lauschvorrichtungen. Das hatte nicht viel zu sagen; man konnte die Vibrationen des Hauses selbst von außen analysieren und Stimmen aus dem Hintergrundgeräusch herausfiltern. Sie hatte trotzdem keinen triftigen Grund für den Verdacht, daß sie überwacht wurde; es war purer Instinkt.
    Sie nahm eins der beiden Armbänder ab und legte es aufs Bett. Wenn jemand das Schlafzimmer betrat, während sie nicht mehr als einen Kilometer von dem Haus entfernt war, würde das zweite Armband sie alarmieren. Sie zog sich aus und ging ins Bad, das direkt ans Schlafzimmer angrenzte. Alle Installationen waren aus weißem Porzellan im runden Stil des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, blitzend sauber klobig und auf unbeholfene Weise elegant. Die Duschkabine war mit Blumenmustern an den Wänden und schwimmenden Fischen auf dem Boden gefliest; in die Glastüren waren langbeinige Vögel eingeschliffen, vielleicht Reiher oder Störche. Sie war kein Fachmann, was Vögel betraf.
    Sie befahl dem Wasser in der Dusche, mit achtundzwanzig Grad Celsius auszutreten, aber das Ding reagierte nicht. Verdrossen drehte sie eigenhändig an den Griffen, wobei sie sich für einen kurzen Moment fast verbrühte, bückte sich, um sich die beiden weißen, mit C und F beschrifteten Keramikkappen noch einmal genauer anzusehen, und kam zu dem Schluß, daß C jedenfalls nicht für >cold< stand. F konnte >frigid< bedeuten, aber das Wasser war nur lauwarm. Sie machte sich im Geist eine Notiz, die Tafel zu Rate zu ziehen, was die französischen Worte für warm und kalt waren.
    Als sie mit der Dusche zurechtkam, ließ sie sich ein paar Minuten lang genießerisch naßspritzen. Dann trat sie aus der Kabine – und sah Roselle mit einem riesigen weißen Frottierhandtuch aus Stoff in den Händen und einem breiten Lächeln auf dem Gesicht vor sich stehen.
    »Mademoiselle ist wirklich schön«, bemerkte sie.
    Das Armband hatte Mary in keiner Weise gewarnt.
    »Danke«, erwiderte sie kühl. Sie hatte jetzt kaum noch Zweifel, was ihren Status betraf. Mit wunderbarer Indirektheit hatte man dafür gesorgt, daß sie den für sie vorgesehenen Platz einnahm; eleganter, anheimelnder Komfort, und nicht das geringste Spiel in ihrer Leine. Sangfroid – kaltblütig, mit aller Seelenruhe. Das war es, was F bedeutete. Froid. Kalt.
    Colonel Sir ließ keinen Zweifel offen, wer hier das Sagen hatte. So komfortabel das Haus und so freundlich die Diener wirkten, es würde keine echte Ruhe geben, ehe sie nicht nach Hause zurückkehrte, und das konnte noch Tage dauern.
    In einem legeren mittellangen Kleid folgte sie Roselle zum Dinner und setzte sich allein an einen Tisch, an dem bequem sechs Personen Platz gehabt hätten. Jean-Claude brachte Schüsseln mit gegrilltem Fisch und Gemüse heraus, alles natürlich und keine Nanoprodukte, eine Schüssel mit einer süß aussehenden dunkelgelben Sauce, Weißwein mit Colonel Sirs eigenem Etikett (Ti Guinée 2045) und einen Krug Wasser. Keine Gänge; keine Protzerei. Ein schlichtes Abendessen. Das paßte perfekt zu ihrer Stimmung. Sie fragte sich, ob die beiden Gedanken lesen konnten. Der Fisch war wunderbar aromatisch, locker und saftig; die Sauce war mild süß und viel mehr. Feurig, pikant, delikat.
    Sie aß auf und dankte dem Paar noch einmal. Als sie den Tisch abräumten, erzählte ihr Jean-Claude, daß Colonel Sir auf dem L’Ouverture-Netz eine Rede hielte. »Der Apparat steht im Wohnzimmer, Mademoiselle.«
    »Sagen Sie mir Bescheid, wenn meine Freunde eintreffen?« fragte sie.
    »Aber sicher, ja.«
    Sie setzte sich vor den

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