Körper-Haft (German Edition)
Rücken durchknetete.
Im nächsten Augenblick hörte ich das Summen von Insekten, spürte die warme Sonne auf meiner Haut und fühlte das Gras unter mir, das sich mit sanfter Kraft gegen meine Füße stemmte. Ich sog die würzige Luft ein, die mich wie immer auf der Zwischenebene umgab. Ich genoss ganz bewusst jeden einzelnen Atemzug und verfolgte ihn geradezu meditativ.
Dann öffnete ich die Augen und blickte in den strahlend blauen Himmel. Ich ließ all meine Sorgen von mir abfallen. Aber so wie’s aussah, hatten sie einen Weg gefunden, durch meine kribbelnden Fußsohlen wieder in mich einzudringen, um erneut Besitz von mir zu ergreifen. Was passierte, wenn ich mich zu weit von meinem Körper entfernte? Wenn ich Glück hatte, dann blieb mein Mobil-Ich auf der Zwischenebene hängen und mein Körper blieb als leere Hülle am Leben. Wenn ich Pech hatte, geistere ich auf ewig als Gespenst durch das Gefängnis. Oder ich starb ganz einfach und löste mich in Wohlgefallen auf.
Und damit war ich an dem Punkt, der uns alle irgendwann einmal beschäftigte: »Was passiert, wenn ich sterbe? Ist dann alles aus und das Ich verliert sich in der Schwärze des Nichts? Oder geht es doch irgendwie und irgendwo weiter? Oder resultiert diese Hoffnung nur aus dem Unvermögen, sich einzugestehen, dass wirklich alles plötzlich vorbei sein könnte? Aber wenn plötzlich alles vorbei wäre, dann könnte man diesen Zustand auch nicht bedauern, betrauern und beklagen. Es wäre vorbei, einfach vorbei!«
Ich dachte an die Textzeile von Monty Phyton’s Song Always look on the bright side of life und grinste in mich hinein.
I mean – what have you got to lose?
You know, you come from nothing
– you’re going back to nothing. What have you lost? – Nothing!
Ich sog die gesamte Umgebung der grünen Wiese in mir auf. Wer weiß, vielleicht war es ja das letzte Mal und ich würde nie wieder hier herkommen! Ich blickte in den blauen Himmel und dachte an ein Zitat, das, glaube ich, von den Cherokee- Indianern stammte. » Heute ist ein guter Tag zum Sterben! « Und wenn nicht, dachte ich, kommt hoffentlich irgendwann noch mal ein genauso guter!
Dann öffnete ich auch die Augen meines Betten-Ich , das von meinem auf dem Fußende stehenden Mobil-Ich verschwörerisch angeblinzelt wurde. Ich ließ mein Mobil-Ich elegant vom Bett herunter springen.
Ich lief zur Tür und stand davor. Dieses Mal war niemand da, der die Tür für mich öffnete, damit ich hindurchschlüpfen konnte. Also blieb nur eines und das ließ mir sämtliche Nackenhaare aufstellen: Ich musste durch die Tür! Durch die geschlossene Tür!
Wie war das beim letzten Mal? Hatte es irgendwelche Verzerrungswellen gegeben, als die Tür durch mich hindurchgeglitten war? So als ob man einen Stein ins Wasser wirft und sich Wellen bilden? Ich konnte mich nicht daran erinnern. Alles war so furchtbar schnell gegangen.
Wie sollte ich das Problem also jetzt angehen? Vielleicht doch einfach warten, bis irgendwann jemand die Tür öffnet? Oder einfach losgehen und die Tür als festen Gegenstand ignorieren?
»Wie wär’s, wenn Du einfach mal klein anfängst?«, sagte ich zu mir. »Probier’s doch einfach mal mit Deiner Hand! Steck Sie durch die Tür und schau einfach zu, was dann passiert! Ganz einfach!«
Ein innerer Dialog zwischen meinem Zweifel und meiner Ratio entwickelte sich. Mein Zweifel fing an: »Klar, ganz einfach! Und was ist, wenn Deine Hand mitten drin, in der Tür, stecken bleibt? Dann kann Dein Betten-Basis-Ich zuschauen, wie Du jedes Mal hin- und her geschoben wirst, wenn die Tür aufgeht. Gar nicht daran zu denken, wenn Dein Mobil-Ich mit der Hand in der Tür irgendwann einmal schlafen möchte!«
Meine Ratio versuchte darauf eine ganz pragmatische Lösung zu finden: »Ok, dann robbe ich eben am Boden liegend durch die Tür, dann liege ich zumindest schon!«
Irgendwie hatte ich so langsam genug von der Zweifelei, auch wenn sie den einen oder anderen logischen Fehler entlarven und mein Überleben sichern konnte.
»Aber habe ich nicht selbst gesagt: Heute ist ein schöner Tag zu sterben ? «
»Klar, habe ich! Aber muss es den gleich heute sein?«
Dieses innere Zerwürfnis zermürbte mich langsam aber sicher. Entweder es funktionierte oder eben nicht. Und bevor eine Hand von mir in der Tür steckte …
Ich nahm Anlauf und sprang mit voller Wucht gegen die Tür. Mit zusammengekniffenen Augen wartete ich instinktiv auf den harten Aufprall und das Splittern von Holz oder
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