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Körper-Haft (German Edition)

Körper-Haft (German Edition)

Titel: Körper-Haft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Romey
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und massiert, so reinigte die kühle Luft meine Lunge und staubte die Lungenbläschen vom Heizungsmief des Winters ab.
    Ich hatte die Augen ganz nach links gerollt, um möglichst viel von der erwachenden Natur zu sehen. Die Fenster waren nicht vergittert und ließen einen freien Blick auf die großen Platanen zu, die außerhalb des Innenhofes und der Gefängnismauern standen. Ich konnte die ersten grünen Knospen ausmachen, die winzig klein vor dem strahlend blauen Himmel zu sehen waren.
    Noch ungefähr acht Jahre und ich hatte das alles hinter mir … Meine Gedanken wurden von einer Bewegung in den Bäumen abgelenkt. Zwei große schwarze Schemen streiften durch die Äste. Als ich sie näher fokussierte, erkannte ich, dass es sich um Krähen handelte.
    Keine Ahnung, ob sie der Untergruppierung der Raben zuzuordnen waren oder es einfach nur ganz ordinäre Saatkrähen waren. Ich bin kein Ornithologe, dennoch fielen mir prompt Dinge über diese Vögel ein, die ich irgendwann einmal aufgeschnappt hatte. Im Mittelalter waren sie das Symbol des Zweifels und des Todes. Es hieß, diese Vögel bringen die Pest mit und sind die Vorhut des Sensenmannes. Vermutlich wurden sie einfach von dem größeren Nahrungsangebot angezogen, sobald die ersten Pest- und Cholera-Toten die Wege säumten.
    In Indien gibt es spezielle Totentürme, auf welche die Verstorbenen gebracht werden, damit sie durch die Krähen dem Totenreich zugeführt werden. Mein Zellennachbar, Herr Baghavatula, hätte sicherlich mehr dazu erzählen können …
    Ebenso halten es wohl traditionell die Tibeter, die ihre Toten sogar in schnabelgerechte Stücke zerteilen und sie den Krähen auf einem Berghang zum Fraß anbieten.
    Ich hatte auch schon mehrfach gehört, dass die Krähen auf den indischen Totentürmen manchmal ungeduldig wurden und nicht immer darauf warteten, bis die daliegenden Körper tot waren. Manchmal wollte so eine Krähe wohl auch etwas Warmes im Bauch haben.
    Aber vermutlich sind das solche Geschichten, wie die von der Vogelspinne in der Yuccapalme, die bei der Überseefahrt ihre Lieblingsbotanik nicht verlassen möchte und so den Einzug in das Wohnzimmer eines Mitteleuropäers findet. Solche Geschichten liefen immer nach dem gleichen Schema ab: der Freund eines Nachbarn, dessen Cousine gehört hat, wie der Mann einer Bekannten …
    Aber zurück zu den Krähen. Ich hatte auch gehört, dass diese Vögel überaus intelligent sind und zum Beispiel extrem harte Schneckenhäuser dadurch knacken, dass sie diese mit den Krallen aufnehmen, sich dann in die Lüfte schwingen und das Schneckenhaus auf einen harten Fels oder eine Straße fallen lassen. Dadurch kommen sie schnell und leicht an den weichen Kern der Schnecke.
    Ich beobachtete die Krähen draußen in den Bäumen außerhalb des Gefängnishofes. Ich erinnerte mich sogar daran, wie ich einmal beobachtet hatte, wie zwei Krähen einen Bussard verjagt hatten …
    Irgendwann hatte ich die Krähen aus den Augen verloren. Ich nahm an, sie seien weitergezogen, als plötzlich ein schwarzer Schemen dem Fenstersims landete. Es war eine der Krähen! Kurz darauf gesellte sich die zweite zu ihr.
    Reptilienhaft zuckten ihr Köpfe, als sie diese schief legten, um ins Innere unsere Zelle zu linsen. Behände hüpften sie über den Sims und beäugten uns neugierig.
    »Vielleicht hatten sie auch von diesen blöden Geschichten aus Indien gehört!«, zuckte es mir durch den Kopf. Ich konnte meinen Blick nicht mehr von den Krähen lassen. Sie hüpften draußen auf dem langen Sims entlang, als wären sie zwei Wachsoldaten auf Patrouille.
    Schließlich hatte eine von beiden genug von diesem Auf und Ab und sprang leichtfüßig auf den Innensims des Fensters. Das Spiel fing von neuem an und die Krähe legte den Kopf schief, um zu beäugen, was da vor ihr im Zimmer lag. Sie schien abzuschätzen, wie gefährlich es wohl wäre, weiter ins Zimmer vorzudringen.
    Das Ergebnis ihres Kalküls schien ihr zu gefallen, denn sie streckte völlig entspannt die Flügel aus und sortierte mit dem langen schwarzen Schnabel das eigene Gefieder. Ich entspannte mich ein wenig. Doch dann sprang sie völlig unerwartet auf das Bettende von Herrn Neuner. Der Schnabel der Krähe glänzte wie ein schwarzer Dolch! Ich merkte, wie mein Herz ins Galoppieren kam.
    Endlich kam ich auf die Idee, den Notrufknopf auf meinem Holo-Flat-Pad anzublinzeln. Der Warnton ging an, die Krähe zuckte kurz zusammen und hob erschreckt die Flügel. Doch dann glitt sie hinab

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