Komm wieder zurück: Roman
Streich spielte, einen harmlosen tollen Streich. »Detour?«, rief Annie. »Detour, komm her!«
Von der Schlafzimmertür aus sah sie den Umriss seines Körpers auf dem Flechtteppich beim Bett. Das Zimmer roch scharf nach Urin. Es roch nach Erbrochenem. Sie knipste die Nachttischlampe an.
Vom Licht geblendet, blinzelte er. Ein dunkler nasser Kreis tränkte den Teppich unter ihm. Er hatte die Beherrschung über seine Blase verloren, und allem Anschein nach schien er nur noch die Augen bewegen zu können.
Annie ließ sich zu Boden fallen und hob seinen Kopf in ihren Schoß. Sein Brustkorb bewegte sich kaum mit jedem Atemzug. Sie streichelte sein langes Ohr, und seine Augäpfel rollten nach oben. Er hatte denselben schuldbewussten Blick wie als Welpe, wenn er ihre Ledersandale gekaut, ein Loch ins Polster des Schlafzimmersessels gekratzt oder versucht hatte, an seinen Ball zwischen den Kissen zu kommen. Er schämte sich, dass er den Teppich nass gemacht hatte. Bestimmt schämte er sich auch für das, was jetzt kommen würde.
Es kam ihr nicht so vor, als ob elf Jahre vergangen wären, seit Calder ihn ihr gebracht hatte. Doch der Amberbaum, den Calder vor der Blindenhundeschule gepflanzt hatte, war jetzt riesig, warf Schatten auf den Rasen mit den gelben Stellen. Er war hineingegangen, nachdem er auf einem Schild etwas von Welpen gelesen hatte, die ihre Ausbildung nicht geschafft hatten, und ehe Annie sich versah, war er in ihrer Auffahrt und hielt ein tapsiges goldfarbenes Geschöpf mit einem Knubbel auf dem Kopf auf dem Arm. Ihr erster Gedanke war, dass etwas mit dem Hündchen nicht stimmte. »Was fehlt ihm denn?«, fragte sie. Seine Ohren waren zu lang für einen Retriever, die Kinnpartie etwas groß. Vielleicht hatte er einen Jagdhund im Stammbaum, oder vielleicht war er einfachmissgebildet. Er bewegte sich, als wäre er schon alt, bettete seinen großen Kopf auf ihren Fuß und schlief ein. »In der Schule haben sie ihn Detour, ›Umweg‹ genannt«, hatte Calder gesagt. »Wie hätten die denn ahnen können, dass er hierherwollte?«
»Du bist ein braves Kerlchen«, sagte Annie zu ihm auf dem Teppich, während sie sein Ohr kraulte.
Er wedelte nicht mit dem Schwanz. Sonst machte er das immer, wenn sie das sagte.
Ein plötzlicher Weinkrampf schnürte ihr die Luft ab. Seine Augen fixierten sie, und sie musste sich abwenden. Sie erinnerte sich, wie erschrocken sie gewesen war, als der Hagel an ihrem Geburtstag niederging. Sie kraulte seinen Nacken und vergrub ihr Gesicht hinter seinem Ohr. Sein Atem war ein unregelmäßiges Schnaufen. Sie wollte ihn trösten, aber von Tränen überwältigt musste sie nach Luft schnappen wie kaum jemals zuvor. Das Geheul, das sie dabei von sich gab, schien von einem Tier im Wald zu stammen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder fing. Sie holte mehrmals tief Luft, und als der Schmerz allmählich abebbte, beugte sie sich über ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Hoffen wir, dass da oben ein gewisser Kearney ist, der für dich Stöckchen ins Wasser wirft.«
Wenn Calder da gewesen wäre, hätte er ihr gesagt, wie kitschig das war, aber das hätte er nicht so gemeint, das wäre beiden klar gewesen. Sie konnte seine Stimme förmlich hören, was sie erneut in Tränen ausbrechen ließ. Es dauerte lange, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
Sie streichelte Detours Kopf, und ihm fielen die Augen zu. Er brauchte nicht mehr als einen kurzen Moment, um durch eine Öffnung zu schlüpfen, dorthin, wo immer er hingehen mochte, denn urplötzlich fühlte sich sein Fell in ihren Händen wie ein leerer Mantel an.
Sie wacht auf und liegt immer noch in ihrem schweren Mantel und Stiefeln am Fußboden neben Detours Kadaver. Das Telefon klingelt in ihrer Tasche. Sie setzt sich in dem merkwürdigen hellenLicht des Zimmers auf. Es ist Morgen, aber sie weiß nicht, wie spät es ist. Früh, so viel steht fest. Sie hält sich das Telefon ans Ohr, eher aus Gewohnheit, weniger weil sie versteht, was geschieht. Detour ist neben ihr ganz steif geworden, die Zunge an die Zähne gepresst. Bei diesem Anblick ist sie plötzlich hellwach.
»Ja?«, sagt sie, obwohl sie sich nie so am Telefon meldet.
»Schatz«, sagt eine Stimme. Annie sieht sich im Zimmer nach jemandem oder etwas um, das ihr helfen könnte zu verstehen. Owens Stimme ist in ihrem Ohr. Owen bittet sie, das Tor zu öffnen.
Und dann ist plötzlich der Wachmann am Apparat. »Ms Walsh?«
»Wie geht es Ihnen?«, fragt sie mechanisch. Es liegt etwas
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