Kopf in der Schlinge
Fall. Ich kurvte in einem preisreduzierten Mietwagen auf dem Highway 395 durch die Berge, und zwar in südlicher Richtung auf den Ort Nota Lake in Kalifornien zu, wo ich eine potentielle Klientin befragen wollte. Die Straße war trocken und die Sicht einwandfrei, da klares Wetter herrschte. Der Auftrag der Klientin war nichts Besonderes, jedenfalls nicht, soweit ich informiert war. Ich hatte keine Ahnung, daß irgendwelche Risiken lauerten, sonst hätte ich mich nicht darauf eingelassen.
Ich hatte Dietz in Carson City zurückgelassen, wo ich die letzten zwei Wochen damit verbracht hatte, für ihn Krankenschwester und Gesellschafterin zu spielen, während er sich von einem Krankenhausaufenthalt erholte. Er hatte sich einer Knieoperation unterziehen müssen, und ich hatte mich bereit erklärt, ihn in seinem schnieken, kleinen roten Porsche nach Nevada zurückzufahren. Mit meiner Fürsorglichkeit ist es nicht weit her, aber ich bin praktisch veranlagt, und die neunstündige Fahrt erschien mir als die naheliegendste Lösung für das Problem, wie man sein Auto zu ihm nach Hause zurückbefördern sollte. Ich bin eine geübte Fahrerin, und er konnte sich darauf verlassen, daß ich uns ohne unnötige Verzögerungen oder belangloses Geplapper nach Carson City bringen würde. Die vergangenen zwei Monate hatte er bei mir gewohnt, und da unser Abschied nahte, gingen wir persönlichen Gesprächen lieber aus dem Weg.
Der Vollständigkeit halber: Ich heiße Millhone, mit Vornamen Kinsey. Ich bin weiblich, zweimal geschieden, stehe sieben Wochen vor meinem sechsunddreißigsten Geburtstag und bin einigermaßen durchtrainiert. Ich besitze eine Lizenz als Privatdetektivin und wohne in Santa Teresa, Kalifornien, einem Ort, an dem ich hänge wie ein Ball an einer ganz kurzen Schnur. Gelegentlich führt mich mein Beruf zwar in andere Landesteile, aber im Grunde bin ich eine Kleinstadtschnüfflerin und werde es vermutlich mein Leben lang bleiben.
Dietz’ Operation, die für den ersten Montag im März angesetzt war, verlief ohne Komplikationen, also können wir uns diesen Teil sparen. Danach kehrte ich in seine Eigentumswohnung zurück und sah mich interessiert dort um. Ich war verblüfft gewesen, als ich seine Räumlichkeiten zum ersten Mal sah, da sie großzügiger und wesentlich besser eingerichtet waren als meine bescheidene Behausung in Santa Teresa. Dietz ist ein Nomade, und ich hätte nie gedacht, daß er über nennenswerten materiellen Besitz verfügt. Während ich in einer umgewandelten Einzelgarage hause (die kürzlich umgebaut worden ist und nun im Obergeschoß ein Loft zum Schlafen und ein zweites Badezimmer umfaßt), residiert Dietz in einem Penthouse mit drei Schlafzimmern, das inklusive Dachterrasse und einem Dachgarten mit einem richtigen Gewächshaus schätzungsweise 280 Quadratmeter Wohnraum umfaßt. Sicher, das siebenstöckige Gebäude liegt in einem Gewerbegebiet, aber die Aussicht ist umwerfend und die Abgeschiedenheit vollkommen.
Ich war zu höflich gewesen, um herumzuschnüffeln, während er direkt neben mir stand, aber als er in der sicheren Obhut der orthopädischen Abteilung des Carson/Tahoe Hospital lag, durchsuchte ich ohne Skrupel alles in meiner direkten Reichweite, was bedeutet, daß ich einen Stuhl mit mir herumschleppen mußte, auf den ich hin und wieder kletterte. Ich durchsuchte Schränke und Akten, Kisten, Papiere und Schubladen, Jackentaschen und Koffer und fühlte mich ebenso erleichtert wie enttäuscht darüber, daß er nichts Besonderes zu verbergen hatte. Ich meine, was bringt die ganze Schnüffelei, wenn sie nichts Interessantes zutage fördert? Allerdings bekam ich ein Foto seiner Exfrau Naomi in die Finger, die auf jeden Fall wesentlich hübscher war, als er je hatte durchblicken lassen. Darüber hinaus schienen seine Finanzen in Ordnung zu sein, sein Medizinschränkchen barg keine düsteren pharmazeutischen Enthüllungen, und sein privater Briefwechsel bestand fast ausschließlich aus Briefen voller Rechtschreibfehler von seinen beiden Söhnen im College-Alter.
Falls Sie mich für indiskret halten, so kann ich Ihnen versichern, daß Dietz mein Domizil genauso sorgfältig durchsucht hat, als er bei mir wohnte. Das weiß ich, weil ich ein paar Fallen gelegt habe, von denen er eine übersehen hat, als er meine abgesperrten Schreibtischschubladen knackte. Auch wenn seine Lizenz abgelaufen sein mochte, war er beruflich nach wie vor in Form. Keiner von uns hatte je sein Eindringen in meine
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