Kreuzzüge
zu holen. Doch dann bemerkte sie etwas an ihrem Oberschenkel. Da war etwas in ihrem Fell. Getrocknetes Blut.
Sie erinnerte sich.
Ihr Kopf fuhr krampfartig zurück. Ihr Mund war weit geöffnet, und sie versuchte verzweifelt, Atem zu holen. Sie heulte und kreischte, bis sie hyperventilierte und auf dem Höhlenboden zusammenbrach.
Einige Zeit später wachte sie wieder auf. Das Blut war noch immer da, und wieder tobte und heulte sie, bis sie ohnmächtig wurde.
Als sie das letzte der einfachen Wachhäuschen hinter sich gelassen hatte, kam Qoj wieder schneller vorwärts, da sie ohne Aufenthalt von Berggipfel zu Berggipfel fliegen konnte. Sie war schon einmal auf der königlichen Straße gewesen, mit dem König und seiner Frau. Doch nun musste sie diese Straße meiden. All das Glück und der Erfolg in der Vergangenheit war nichts verglichen mit dem, was sie brauchte, um heil in der Hauptstadt anzukommen.
Immerhin war sie gut Freund mit den Soldaten von Braunwasser – nun, so gut man eben mit Leuten dieser Art befreundet sein konnte. Wenn sie einen Soldaten der königlichen Garde traf, den sie kannte, könnte sie ihn vielleicht um Asyl bitten. Was sie in ihrem Beutel mit sich trug, würde vielleicht eine gewaltige Lawine auslösen, die den Himmelsherrn der Freien unter sich begraben würde. Deshalb waren die Greifer bestimmt froh, sie zu sehen – falls sie es schaffte, ihnen alles zu erklären, bevor man sie einen Kopf kürzer machte!
Die ganze Sache war von Anfang an ziemlich dumm gelaufen. Stets hatte sie nur ein einfacher Soldat sein wollen, so wie ihre älteren Geschwister und ihre Mutter. Aber ihr Vater erlitt plötzlich einen Anfall von Größenwahn, und als Qojs pubertierender Körper die richtigen Rundungen bekam, legte er es darauf an, die männlichen Mitglieder vom Clan des Himmelsherrn auf sie aufmerksam zu machen.
»Für eine Schönheit ist immer Platz am Tisch«, hatte eine der alten Mütter gekräht. Und so kam es, dass man sie bei Hof unterbrachte.
Sie dachte mit Vergnügen daran, dass damit traditionell eine Pflicht verbunden war, die sie indes als durchaus angenehm empfand. Doch dann hatte sie etwas getan, was der Königin gar nicht gefiel – sie war schwanger geworden. Wenn sie nun in die Hände der Hoheit oder einer ihrer Diener fiel, die mit Schwert und Gift darauf warteten, sie zu töten …
Das Volk akzeptierte Bastarde durchaus, sodass ihr Junges einen realistischen Anspruch auf den Thron besäße. Aber sie war nicht gerade wild darauf, der Königin als Zielscheibe zu dienen. In den acht Jahren, die sie am Gerichtshof gearbeitet hatte, erlebte sie vier Fälle, die aus demselben Grund tödlich endeten.
Sie sauste in geringer Höhe um einen Gipfel herum. Zwar konnte man sie nun von der Straße aus sehen, doch wurde diese nur selten benutzt. Dann hörte sie plötzlich den Schrei eines Greifers – er heulte, als ob es ihm an den Kragen ging.
Sie zögerte einen Augenblick, dann siegte die Neugier.
Sie hatte gerade festgestellt, dass das Geschrei von einem Höhleneingang kam, als es abrupt endete. Keiner der Freien Leute mochte geschlossene Räume, weil ihre Flügel dort völlig nutzlos waren. Aber es beunruhigte sie doch, dass das Geheul so plötzlich aufgehört hatte. In den Bergen und vor allem in den Höhlen konnten einem Dinge zustoßen, die sie niemandem wünschte – noch nicht einmal einem Greifer.
Sie flog zu dem Felsvorsprung und schaffte eine perfekte Landung. Dann legte sie ordentlich die Flügel an und betrat vorsichtig die Höhle.
Der Eingang war zwar recht breit, aber auch sehr niedrig, sodass sie sich bücken musste, um hindurchzugelangen. Direkt hinter der ersten Biegung fand sie den Greifer; es handelte sich zweifellos um eine sie, die flach auf dem Rücken lag, verletzt und blutbesudelt. Ein riesiger Traumbringer kroch auf sie zu.
Qoj reagierte völlig instinktiv, machte einen Satz nach vorne und stieß den Kampfruf der Freien Leute aus, als ihr plötzlich klar wurde, dass sie keinerlei Waffen bei sich trug. Der Biss eines Traumbringers war absolut tödlich …
Glücklicherweise verschwand die Schlange jedoch, bevor sie Qoj erreichen konnte. Sie wandte sich wieder dem am Boden liegenden Greifer zu. Sie trug eine Halskette, die sie als Mitglied der königlichen Familie auswies. Die Wunden schienen nicht lebensbedrohlich zu sein. Qoj hoffte, dass man ihr diese gute Tat hoch anrechnen würde – vielleicht gewährte man ihr sogar Asyl dafür? Auf jeden Fall konnte
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