Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
dort stand. Der Repräsentant wirkte ruhig und gelassen.
» Das wird geschehen, Prin«, sagte Errun.
» Sagen Sie, was Sie zu sagen haben«, erwiderte Prin.
Der ältere Mann zögerte, und in seinem Gesicht zeigte sich Sorge. » Prin«, sagte er, » ich behaupte nicht, über alles Bescheid zu wissen, was Sie hinter sich haben…«
Prin ließ ihn quatschen. Sie konnten dafür sorgen, dass er hier drin blieb, dass er auf diesem Stuhl saß und nicht dazu kam, dem Traumbild des alten Repräsentanten die Lampe auf den Kopf zu schlagen, aber sie konnten ihn nicht zwingen, aufmerksam zuzuhören. Die Methoden, die er in Vorlesungen gelernt und später bei Fakultätstreffen zur Perfektion entwickelt hatte, zeigten hier ihren Nutzen. Er konnte Erruns Ausführungen folgen, ohne auf all die Details zu achten.
Als Student hatte er angenommen, dazu in der Lage zu sein, weil er verdammt schlau war und im Grunde genommen schon einen großen Teil von dem wusste, was man ihm beizubringen versuchte. Später, bei endlos scheinenden Komiteesitzungen, hatte er gelernt: Was als nützlicher Informationsaustausch im Innern einer Organisation galt, war oft nur das bürokratische Gefasel von Leuten, die ihren Posten schützten, Anerkennung suchten, Kritik vorbrachten, sich in Hinsicht auf bevorstehende Katastrophen, die sowohl vorhersehbar waren als auch ganz und gar unvermeidlich erschienen, in eine Position der Nichtverantwortung zu manövrieren und ganz allgemein von Dingen sprachen, die alle längst kannten. Der Trick bestand darin, von einem Augenblick zum anderen wieder voll da zu sein, ohne jemanden merken zu lassen, dass man nach dem ersten Wort des Redners abgeschaltet hatte.
Repräsentant Errun begann also mit einem volkstümlichen Geschwafel über Kindheitserlebnisse, die ihn von der Notwendigkeit nützlicher Lügen und vorgetäuschter Welten überzeugt hatten, und er betonte mehrmals, wie wichtig es sei, Unruhestifter in die Schranken zu weisen. Jetzt steuerte er dem Ende seiner Ansprache entgegen und fasste noch einmal alles zusammen. Prin hörte es mit den Ohren des Akademikers, fand alles sehr einfallslos und wäre bestenfalls zur Benotung mit einem » gerade noch ausreichend« bereit gewesen.
Manchmal wollte man nicht von einem Augenblick zum anderen wieder voll da sein; manchmal wollte man den Studenten, Graduierten, Kollegen oder Funktionär wissen lassen, dass man sich gelangweilt hatte. Prin hielt einen ausdruckslosen Blick auf Errun gerichtete, und zwar etwas länger, als es höflich gewesen wäre, und sagte: » Hmm. Ich verstehe. Wie dem auch sei, Repräsentant: Ich nehme an, Sie sind hier, um mir einen Vorschlag zu machen. Kommen Sie zur Sache.«
Errun wirkte verärgert, beherrschte sich aber, obwohl ihm das sichtlich schwerfiel. » Sie lebt dort, Prin. Chay. Sie ist immer noch am Leben. Sie hat nicht gelitten und war stärker, als die Leute dachten. Sie können sie noch immer retten. Aber die Geduld der Leute mit ihr und auch mit Ihnen geht langsam zu Ende.«
» Ich verstehe«, sagte Prin. » Fahren Sie fort.«
» Möchten Sie es sehen?«
» Was?«
» Möchten Sie sehen, was mit ihr geschehen ist, seit Sie sie dort zurückgelassen haben?«
Prin fühlte die Worte wie einen Schlag, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. » Da bin ich mir nicht sicher.«
» Es ist nicht… es ist nicht so unangenehm, Prin. Der erste, längste Teil betrifft nicht einmal die Hölle.«
» Nein? Was dann?«
» Einen Ort, zu dem man sie geschickt hat, damit sie sich erholt«, sagte Errun.
» Damit sie sich erholt?« Prin war nicht sonderlich überrascht. » Weil sie den Verstand verloren hat und Verrückte nicht richtig leiden?«
» Etwas in der Art, nehme ich an. Aber nach ihrer Rückkehr hat man sie auch nicht bestraft. Lassen Sie es mich Ihnen zeigen.«
» Ich glaube nicht, dass ich es sehen möchte.«
Aber sie zeigten es ihm trotzdem. Es war, als säße er gefesselt vor einem Panoramaschirm, der ihn umgab, ohne dass er den Blick abwenden oder die Augen schließen konnte.
Er beobachtete, wie Chay einen Ort erreichte, den man » Refugium« nannte: ein mittelalterliches Ambiente, wo sie in einer Ära vor der Erfindung des Buchdrucks Manuskripte kopierte. Er hörte ihre Stimme und sah, wie man ihr mit Strafe drohte, weil sie Zweifel an Religion und Glauben äußerte. Er sah, wie sie sich fügte, in den folgenden Jahren fleißig arbeitete und sich in der kleinen Hierarchie jenes Ortes allmählich nach oben arbeitete,
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