Krieg – Wozu er gut ist
3. Millenniums zu belegen. Ja, wie aus dem unteren Teil von Tabelle 2.1 zu erkennen ist, spielte sich hier etwas weit Komplizierteres ab. Im 3. Jahrtausend v. Chr. war das Indus-Tal die zweite Region der Welt, in der – einige Jahrhundert nach dem Fruchtbaren Halbmond, aber einige Jahrhunderte vor Ostasien – Städte, Staaten, Befestigungsanlagen und Bronzewaffen auftauchten. Bis zum 1. Jahrtausend v. Chr. jedoch war Südasien hinter Ostasien auf den dritten Platz abgerutscht.
In einer Hinsicht wissen wir, was passiert ist: Die Kultur des Indus-Tals brach um 1900 v. Chr. in sich zusammen. Ihre Städte leerten sich, die Menschen kehrten Leviathan den Rücken und zerschlugen den augenscheinlich so reibungslosen Fortschritt von Tabelle 2.1. Es sollten fast tausend Jahre vergehen, bevor in Südasien ein weiteres Mal Städte und Staaten auftauchten, diesmal jedoch nicht am Indus, sondern in den Ebenen des Ganges; und bis dahin hatte China, wo es nicht zum Kollaps gekommen war, Südasien überholt.
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Abbildung 2.6Die Geburt der Disziplin
Dieses als Geierstele bekannte Relief aus Lagaš im heutigen Irak aus der Zeit um 2450 v. Chr. ist die älteste bekannte Darstellung von Soldaten in geordneter Formation.
Was wir nicht wissen, ist, warum die Indus-Kultur kollabierte. Noch können wir die wenigen Texte, die überdauert haben, nicht lesen, und, angesichts der anhaltenden Schwierigkeiten bei den Ausgrabungen in Pakistan, bleiben die Evidenzen spärlich. In den 1940er Jahren, als Exmilitärs in der Archäologie dominierten, war man sich weitgehend einig, indogermanische Invasoren, wie spätere indische Epen sie beschrieben, hätten die Städte am Indus zerstört. In den 1980er Jahren, auf dem Höhepunkt der Popularität von Meads Buch Coming of Age ( Jugend und Sexualität ), war man sich dann einig, dass dem nicht so gewesen ist. Stattdessen wurden Klimaveränderungen, innere Aufstände und wirtschaftlicher Zusammenbruch als die neuen Schurken genannt. In unseren aufgeklärten Jahren müssen wir eingestehen, dass wir es einfach nicht wissen.
Ich werde im Verlauf dieses Buches noch weit mehr über den Zusammenbruch von Leviathanen zu sagen haben, will jedoch hier noch einenAugenblick bei dem Kollaps am Indus von vor 4 000 Jahren verweilen. Hätte ich das vorliegende Buch, anstatt hier an meinem Schreibtisch im Kalifornien des Jahres 2013 n. Chr., um 1500 v. Chr. in Südostasien geschrieben, ich wäre womöglich durchaus zu dem Schluss gekommen, dass Krieg zu absolut nichts nütze ist. Überall um mich herum hätte ich die verlassenen Städte der Indus-Kultur zu Schlammhaufen verkommen sehen, nur mehr von Geistern und Schäfern bewohnt. Vielleicht hat der Krieg uns für eine Weile sicherer und reicher gemacht, hätte ich mir sagen können, aber dann ist damit plötzlich Schluss gewesen.
Hätte ich jedoch (immer noch in Südasien) um 500 v. Chr. geschrieben und von der verschwundenen Kultur am Indus gewusst, wäre ich womöglich zu einem ganz anderen Schluss gekommen. Um 500 v. Chr. nämlich waren die aufstrebenden Staaten im Ganges-Tal auf ihre Weise nicht weniger bemerkenswert, als es 1 500 Jahre früher die Städte am Indus gewesen waren. Die offensichtliche Implikation dieses Musters wäre gewesen, dass der Krieg sehr wohl produktiv, das Phänomen aber zyklisch ist. Aus dem Chaos schuf Leviathan die Ordnung und setzte damit eine Kettenreaktion in Gang, die die Welt wieder in der Anarchie zurücksinken ließ, die dann zu einem weiteren Leviathan führte – und so würde das weitergehen, ein endloses Oszillieren zwischen Ordnung und Chaos.
Dann wiederum, hätte ich dieses Buch um 250 v. Chr. geschrieben, auf dem Gipfel von Ashokas Macht, ich hätte (lückenloses Wissen über die Vergangenheit vorausgesetzt) mit Sicherheit das Gefühl gehabt, zu einer tieferen Einsicht gekommen zu sein. Ja doch, so hätte ich dem Ich von einem Vierteljahrtausend zuvor gegenüber eingeräumt, der produktive Krieg ist zyklisch, aber er funktioniert nach dem Wellenprinzip, und jede Welle türmt sich höher auf als die Welle zuvor. Ja, hätte ich mir weiter gesagt, die Indus-Kultur war ganz außergewöhnlich gewesen, und, ja, ihr Kollaps nach 1900 v. Chr. war furchtbar. Aber das Reich der Maurya ist noch viel außergewöhnlicher; das Prinzip des produktiven Kriegs funktioniert.
Wäre ich, im Besitz dieser Erkenntnis, weitere 250 Jahre später ein letztes Mal wiedergeboren worden,
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