Kristall der Macht
tauschen wollen. Jamaks Empörung war ihr nicht entgangen, aber sie wusste auch, dass Noelani es sich nicht leicht machte, und konnte sogar verstehen, warum ihre Schwester sich gegen Jamaks Überzeugung auf einen Pakt mit dem König einließ.
Der Anblick, als sich der Hund in einen weißen Stein verwandelte, war auch für sie nur schwer zu ertragen gewesen, obwohl es so schnell gegangen war, dass der Hund selbst es nicht einmal gespürt haben durfte. Dann aber war etwas geschehen, das außer ihr niemand sehen konnte, und das war das Wunderbarste, was ihr widerfuhr, seit sie gestorben war.
Sie war nicht mehr allein.
In dem Maße, wie das Leben aus dem Hundekörper gewichen war, hatte sich sein Geist aus der sterblichen Hülle gelöst. Kaori hatte es gesehen und fest damit gerechnet, dass er schon bald die Reise zu den Ahnen antreten würde. Aber anstatt sich in Rauch aufzulösen und dem Himmel entgegenzustreben, wie es die Geister Verstorbener gewöhnlich zu tun pflegten, war die nebelhafte Hundegestalt verängstigt und verwirrt auf sie zugekommen und hatte ihre Nähe gesucht.
»Dann bist du also auch hier gestrandet, was?« Kaori beugte sich hinab und strich dem körperlosen Hund mit ihrer Geisterhand so über den Kopf, wie sie es im Leben bei einem Hund getan hätte. »Du verstehst es nicht, wie? Wir sind tot. Du und ich. Na ja, nicht richtig tot, sonst wären wir ja nicht hier. Aber wir leben auch nicht mehr, und die da«, sie deutete auf Noelani und den König, »können uns weder hören noch sehen.« Der Hund bellte und wedelte freudig mit dem Geisterschwanz, als hätte er jedes Wort verstanden.
»Und wir haben noch etwas gemeinsam«, fuhr Kaori fort. »Wir können diese Sphäre nämlich erst dann verlassen, wenn meine Schwester stirbt. Du wirst dann wieder lebendig, und ich kann gemeinsam mit ihr den Weg zu den Ahnen antreten.« Sie seufzte und kraulte dem Hund das Fell. Der Hund bellte wieder. »Sieht so aus, als müssten wir beide hier noch eine ziemlich lange Zeit verbringen«, sagte sie und fügte hinzu: »Was meinst du, wollen wir zusammenbleiben? Allein ist es hier ziemlich langweilig.«
Der Hund legte den Kopf schief und wedelte freudig mit dem Schwanz. »Das heißt ja, nicht wahr? Du bleibst bei mir.« Kaori lachte und lauschte wieder auf das, was am Tisch gesprochen wurde. »Wie auch immer«, sagte sie zu dem Hund, ohne sich von der Unterredung abzuwenden. »Ich freue mich sehr, dass du da bist.«
* * *
»Wie konntest du nur, Noelani?«
Noch nie hatte Noelani Jamak so aufgebracht erlebt. Außer sich vor Wut schritt er in dem prachtvollen Gemach auf und ab, das der König ihnen zugewiesen hatte, rang die Hände und versuchte, die richtigen Worte zu finden. »Dieser Mann ist ein Tyrann. Das sieht selbst ein Blinder. Er fürchtet sein Volk, und bei den Göttern, wenn ich sehe, unter welch unwürdigen Umständen diese Menschen vor den Toren leben müssen, kann ich es ihnen nicht verdenken, dass sie ihn hassen. Und du hast nichts Besseres zu tun, als ihm deine Hilfe anzubieten.«
»Ich habe ihm noch gar nichts angeboten«, korrigierte Noelani ruhig. »Ich habe mir lediglich einen Tag Bedenkzeit erbeten.«
»Aber du hast ihm Hoffnung gemacht. Warum, Noelani? Warum?«
»Weil ich hoffe, dass sich noch eine Lösung findet, die uns beiden gerecht wird«, erklärte Noelani.
»Und wenn nicht? Meinst du, er wird dich einfach so gehen lassen, jetzt wo er weiß, was du zu vollbringen vermagst?«, erwiderte Jamak scharf. »Das hier ist Krieg, Noelani. Nicht das Waitunfest.«
»Das weiß ich.«
»Dann wach endlich auf. Dieser Azenor ist zu allem entschlossen.«
»Er kann mich zu nichts zwingen.« Noelani schob trotzig das Kinn vor. »Die Magie unterliegt allein meinem Willen. Und das weiß er.«
»Glaubst du denn, dass du noch eine Wahl hast?« Jamak schüttelte resignierend den Kopf. »Die Bedenkzeit hättest du dir vorher erbeten müssen, um dich mit mir zu besprechen. Jetzt ist es zu spät.«
»Vorher?« Noelani hob leicht die Stimme. »Wann denn?«
»Nachdem du den Lederbeutel versteinert hast.« Jamak seufzte. »Da hat der König noch an der Macht des Zaubers gezweifelt. Diese Zweifel hätten wir nutzen können, aber du musstest ihm ja unbedingt noch mehr zeigen. Und dann das …« Er holte tief Luft, hob die Stimme etwas an und zitierte Noelani mit den Worten: » Soweit ich weiß, gibt es da keine Grenze. Meine alte Lehrmeisterin meinte einmal scherzhaft, dass man mit den Kristallen
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