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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Königreich Jesus verheißen hatte.
    Es wurde sogar über den Namen des Herrn gestritten. Er war Jehoschua, Josua, Iesus oder Jesus, je nach Nationalität und Sprache der Gläubigen. Einige nannten ihn Bar-Abbas, das bedeutete Sohn des Abbas, während andere argumentierten, dass es sich bei Barabbas, dessen Vorname ebenfalls Jesus lautete, um einen ganz anderen Mann handelte. Und diejenigen, die ihn Jesus bar Joseph nannten, wurden von denen widerlegt, die behaupteten, wenn der Herr sich selbst Gottes Sohn nannte, könnte er keinen irdischen Vater haben wie andere Erlöser vor ihm.
    Als endlich alle versammelt waren und die Andacht beginnen konnte, las Rahel aus der Thora. Sie hatte eine Passage aus dem fünften Buch Mose gewählt: »Denn wo ist ein so herrliches Volk, dem sein Gott so nahe ist wie uns der Herr, unser Gott, sooft wir ihn anrufen.«
    Bevor sie die Thora entrollen konnte, kam einer ihrer Freigelassenen angelaufen, um einen Spätankömmling anzukündigen. Sobald die Versammelten den Namen hörten, setzte große Aufregung ein. Amelia wandte sich an die ältere Phoebe.
    »Wer ist es denn?«

    »Ihr Name ist Maria, sie hat unseren Herrn und Meister gekannt.« Aus Phoebes Stimme sprachen Ehrerbietung und Verwunderung, dass eine solche Persönlichkeit ihre bescheidene Gemeinde beehrte. »Eine wohlhabende, einflussreiche Frau, sie hat Jesus und seine Jünger in ihrem Haus beherbergt, damit sie die Botschaft verbreiten.«
    Amelia wusste, dass sich unter Jesu Gefolgschaft auch viele Frauen befanden, Frauen, die ihren Besitz für ihn und seine Sache gaben, so wie Rahel, Phoebe und Chloe das heute taten. Dass einige von ihnen noch lebten, war ihr bisher unbekannt. Phoebe fuhr fort:
    »Maria war eine seiner engsten Vertrauten, sein erster Apostel. Als Jesus verhaftet wurde, leugneten Petrus und die anderen, ihn zu kennen, und es waren nur die Frauen, die Jesus am Fuße des Kreuzes beweinten. Die Frauen nahmen seinen Leichnam ab und legten ihn in das Grab. Das Grab wurde mit einem Stein verschlossen, und wieder waren es die Frauen, die Wache hielten, weil sich die Jünger aus Angst versteckt hatten. Als Jesus aus dem Grab auferstanden war, zeigte er sich zuerst dieser Frau als der Auferstandene. Ich glaube fest daran«, sagte Phoebe mit einem Leuchten in den Augen, »wenn unser Herr auf die Erde wiederkehrt, wird er zuerst Maria erscheinen.«
    Die Besucherin war eine unscheinbare Frau von hohem Alter, klein, gebeugt und in weißes handgewebtes Leinen gekleidet. Sie ging mit Hilfe eines Stocks am Arm einer jungen Frau, und ihre Stimme war so zerbrechlich und dünn wie Glas. Sie sprach den griechischen Dialekt Palästinas, und so musste ihre junge Begleiterin für die Zuhörer ins Lateinische übersetzen. Ihre Worte waren ganz einfach.
    Als Erstes forderte Maria zum gemeinsamen Gebet auf. Im Gedenken an den Gekreuzigten standen alle mit ausgestreckten Armen und zurückgelegtem Kopf, die Augen himmelwärts gewandt, und sangen die Lobpreisungen. Dann begann Maria mit ihrer Geschichte. »Jesus, unser Herr und Meister, war ein überaus gütiger Mensch. Er liebte Kinder, und der Anblick von Krankheit, Armut und Ungerechtigkeit jammerte ihn. Er heilte und segnete und predigte die Güte.«
    Die Hitze des Tages legte sich über den Garten, und die Worte der alten Frau wurden zu einem hypnotischen Singsang. Amelia glitt in eine andere Bewusstseinsebene, als ob sie unverdünnten Wein getrunken hätte. Sie vernahm keine Worte mehr, sondern sah auf einmal lebendige Bilder. Sie sah sich an Jesu Seite durch die grüne Hügellandschaft Galiläas wandern, sie stand am See und sah Jesus von einem Fischerboot predigen; sie saß auf einer Anhöhe im Gras und hörte ihn von Nächstenliebe und Güte und vom Hinhalten der anderen Wange predigen; sie schmeckte seinen Wein auf einer Hochzeit und spürte sein Lächeln auf ihrer Wange, als er vorbeiging.
    Maria erzählte von Geldwechslern und Hohenpriestern, von einem wieder erweckten Mädchen und einem Mann namens Lazarus.
    Amelia sah ein Mahl aus Fischen und Brot, sie roch den Staub der Straßen und Wege Palästinas und hörte das Klappern der Hufe, als römische Soldaten vorbeiritten.
    Die schwere Luft, die Hitze, das Bienengesumm – und der Garten glitt in eine andere Epoche, an einen anderen Ort. Marias brüchige Stimme malte Bilder in lebhaften Farben und dann… Er war hier! In Raheis Garten! Der abtrünnige Jude und friedliche Prediger, der bewaffnete Zelot und Gottessohn. Seine

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