Kristall der Träume
Lebensumstände sich gebessert haben.«
Cornelius’ Augen verengten sich, als er die Halskette bemerkte, die Amelia schon wieder über ihrer Tunika trug. »Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist, aber ich denke, du solltest eine Weile zu Hause bleiben. Du wirst diese Jüdin nicht mehr besuchen.« Er wandte sich zum Gehen. »Amelia? Hast du mich gehört?« »Ja, Cornelius. Ich habe dich gehört.«
»Dann sind wir uns einig. Du wirst die Jüdin nicht besuchen.«
Während sie Cornelius ansah, kamen ihr Raheis Worte vom nahen Ende der Welt wieder in den Sinn. Die meisten Christen glaubten daran, und so drehte sich manches Gespräch bei ihren samstäglichen Zusammenkünften darum, wie dieses Ende aussehen würde. Würde die Welt in einem einzigen Feuerball aufgehen? Würde das Ende mit Erdbeben und Überschwemmungen kommen? Würden sich Völker erheben und kämpfen, bis nur noch die Erlösten übrig blieben?
Einige sprachen von Engeln mit Posaunen, andere sahen Plagen und Tod. Wie immer das Ende aussehen mochte, Amelia fragte sich, wie Cornelius reagieren würde. Sie stellte sich vor, wie er gewichtig auf-und abschritt, wie er das im Tribunal zu tun pflegte, und ausrief:
»Moment mal, das könnt ihr doch nicht machen!« Bei diesem Gedanken musste sie beinahe lächeln. »Amelia? Hast du mich gehört?«
»Ja, Cornelius. Ich habe dich gehört.«
»Na schön. Du wirst also nicht mehr zum Haus der Jüdin gehen.«
Wieder wandte er sich zum Gehen, wieder blieb er stehen.
»Amelia.«
»Ja, Cornelius?«
Sein Blick zuckte zu der ägyptischen Halskette, die herausfordernd an Amelias Hals funkelte. »Findest du das passend?«, fragte er und deutete auf den Anhänger.
Amelia schaute an sich herunter. »Es ist ein Geschenk von dir, Cornelius. Möchtest du nicht, dass ich es zeige?«
An jenem denkwürdigen Tag ihrer Erleuchtung hatte Amelia Rahel gefragt, wie sie diese Vergebung erlangen könne, die Jesus für seine Peiniger erbeten hatte, und war überrascht gewesen zu hören, dass sie keinerlei Geld- oder Tieropfer im Tempel leisten musste. Sie brauchte auch keinen Vermittler wie etwa einen Priester oder eine Priesterin. »Sprich einfach direkt zu Gott«, hatte Rahel ihr geraten.
»Bitte ihn von ganzem Herzen um Vergebung, und er wird dir vergeben.«
In einem Aufruhr der Gefühle war sie heimgegangen. Froh, das Haus leer zu finden, hatte sie sofort ihr privates Heiligtum aufgesucht, einen kleinen Garten mit einem Brunnen und einer Isis-Statue, und dort bis tief in die Nacht hinein über die Geschehnisse nachgedacht. Ihr heftiger Zorn über alle Menschen, die unschuldige Wesen quälten, hatte sich schließlich auf Cornelius konzentriert, der ihr nicht vergeben wollte. Am nächsten Morgen war sie von neuer Energie erfüllt erwacht. Ihr Zorn, ihr Kummer, ihre Verwirrung, ihr Gefühl der Hilflosigkeit waren einem neuen Selbstbewusstsein gewichen. Und dieses neue Gefühl hatte sie veranlasst, die Halskette nicht mehr zu verstecken, sondern offen über der Tunika zu tragen.
Wenn sie schon gebrandmarkt war, sollte alle Welt es sehen.
Cornelius’ Augen wurden schmal. Amelia spielte gewöhnlich keine Spielchen. Er würde die Sache mit der Halskette vorerst auf sich beruhen lassen. »Wir sind uns also einig«, sagte er. »Du wirst die Jüdin nicht wieder sehen.« Er wartete. »Hast du mich verstanden?«
»Ich habe dich verstanden.«
»Dann wirst du gehorchen.«
»Nein, Cornelius. Ich werde meine Freundin Rahel weiterhin besuchen.«
»Amelia!«
»Ja, Cornelius?«
Zum ersten Mal bemerkte sie, dass Cornelius sich das Haar von hinten in die Stirn kämmte. Kahlköpfigkeit war in Rom verpönt, sie wurde als Zeichen der Schwäche ausgelegt. Dieselben Männer, die über ihre Frauen spotteten, weil sie so viel Zeit mit ihren Friseuren verbrachten, machten selber viel Aufhebens um ihr schütteres Haar.
Amelia war überrascht, dass sie bei ihrer Entdeckung nicht so sehr Verachtung als vielmehr Mitleid für ihren Mann empfand. Die Büsten von Julius Cäsar zeigten ihn als Mann mit dünnem Haar, und doch galt er als Held, wurde als Gott gefeiert. Sie hätte Cornelius liebend gern geraten, sich die Glatze zu polieren, um an Größe zu gewinnen.
»Ich verbiete dir, dort noch einmal hinzugehen.« Sie widmete sich wieder ihren Rosen. »Amelia, hast du mich gehört?«
»Ich bin nicht taub, Cornelius.«
»Dann wirst du also nicht mehr zu der Jüdin gehen?« Amelia schnitt ungerührt Rosen ab und legte sie in einen Korb. Cornelius
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