Kristall der Träume
furchte die Stirn. »Fühlst du dich nicht wohl?«
»Warum fragst du, Cornelius?«
»Du hast Fieber.«
»Mir fehlt nichts.«
»Warum benimmst du dich dann so sonderbar?«
»Tue ich das?«
»Was ist los mit dir?«, donnerte er los, was er sofort bereute.
Cornelius pflegte sich damit zu brüsten, dass er nie die Contenance verlor. Erfahrene Redner und gewiefte Anwälte hatten schon alles versucht, um an seiner Fassade zu kratzen. Und jetzt musste ausgerechnet seine eigene Frau ihn aus der Fassung bringen! Das ließ er nicht zu. »Du hast mich gehört«, verkündete er schließlich, machte auf dem Absatz kehrt und ging davon.
Die sonderbare Unterhaltung mit Amelia verfolgte ihn noch den ganzen Nachmittag bis in den Abend hinein, aber er dachte nicht daran, sich in irgendwelche Spielchen von ihr verwickeln zu lassen.
Amelia würde es niemals wagen, sich seinen Anweisungen zu widersetzen.
Und doch tat sie genau dies am folgenden Tag. »Wo ist die Herrin des Hauses?«, fragte er Philo, den Majordomus. »Die Herrin ist fort, mein Gebieter.«
»Wohin?«
»Wohin sie immer am Samstag geht, mein Gebieter. Zum Haus der Jüdin.«
Cornelius brannte vor Wut. Sie wagte es! Das war das letzte Mal!
Er erwartete sie bereits, als sie heimkam. »Nimm die Halskette ab.«
»Aber sie gefällt mir.«
»Das ist nur so ein Trick von dir, um mich dazu zu bringen, dir zu vergeben… «
»Warum denn, Cornelius? Du brauchst mir nicht zu vergeben.
Mir ist bereits von einem weit Größeren vergeben worden.«
»Von wem denn?« Er lachte trocken. »Von der Jüdin? Nimm die Kette ab, Amelia.«
»Wenn ich als Ehebrecherin gebrandmarkt werden soll, Cornelius, dann lass doch alle Welt von meiner Schande wissen.«
»Ich will, dass du sie abnimmst.«
»Du willst doch nur, dass ich ständig an meinen Fehltritt erinnert werde, ist es nicht so?«
»Im Grunde geht es um das verfluchte Baby, oder nicht?« Sie zog die Augenbrauen hoch. »›Verfluchtes Baby‹? Sprichst du von unserer Tochter, unserem letzten Kind? Ja, ich glaube, vor sechs Jahren hat alles angefangen. Ich versuchte, dir eine gehorsame Ehefrau zu sein, stattdessen fiel ich in eine tiefe Dunkelheit. Aber das hat dich nicht gekümmert, Cornelius. So suchte ich Trost in den Armen eines anderen Mannes. Das war vielleicht falsch, ich weiß es nicht. Eines weiß ich aber mit Sicherheit, dass du meinem Kind Unrecht getan hast.«
»Die Gesetze besagen…« Amelia richtete sich auf. »Es interessiert mich nicht, was die Gesetze besagen. Die Gesetze sind von Männern gemacht worden. Ein Baby gehört zu seiner Mutter und sonst niemandem. Du hattest kein Recht, mein Kind dem Tod preiszugeben.«
»Nach dem Gesetz habe ich jedes Recht dazu«, erklärte Cornelius knapp.
»Nein. Das ist ein von Männer gemachtes Gesetz. Die Geburt eines Kindes ist ein Naturgesetz, und kein Mann kann daran rühren.«
Als sie sich zum Gehen wandte, rief er hinter ihr her: »Bleib, Amelia. Ich bin noch nicht fertig«, aber da hatte sie den Raum bereits verlassen.
Dass Amelia die Halskette offen zur Schau trug, wurde allmählich zum Tagesgespräch der Gesellschaft und machte Cornelius abermals zum Gespött der Stadt. Schließlich forderte er die Kette zurück, doch Amelia lehnte ab. Zur Sicherheit legte sie die Kette jede Nacht unter ihr Kopfkissen, aber sie konnte ungestört schlafen, Cornelius kam nicht.
Als sie das nächste Mal miteinander sprachen, bellte Cornelius Befehle durchs Haus und herrschte die Sklaven an, die Sachen für den Landaufenthalt zu packen. Amelia vermutete bereits einen neuen Akt der Bestrafung, aber als Cornelius ihr erklärte, dass die Malaria in der Stadt ausgebrochen sei, klang seine Besorgnis echt. Die Stadt wurde seit Jahrhunderten regelmäßig von dem Sumpffieber heimgesucht, das jedoch wieder verschwand, sobald die Sümpfe am Tiber austrockneten. Niemand wusste einen Rat. Der Arzt Solomon hatte den Magistrat darauf hingewiesen, dass nicht die schlechten Ausdünstungen – mal aria – in den Sumpfgebieten die Ursache für die Krankheit seien, sondern die Stechmücken, die dort brüteten.
Aber man hatte nicht auf ihn gehört, schließlich war Solomon ein Jude.
Da Cornelius darauf drängte, dass der gesamte Haushalt aufs Land zog, war Amelia von seinen guten Absichten überzeugt. Also verließ die Familie Vitellius an einem frühen Julimorgen Rom, begleitet von Kindermädchen und Erziehern, persönlichen Bediensteten und einem riesigen Gefolge aus Sklaven und
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