Kristall der Träume
Synagogen geführt hatten.
Amelia hatte Cornelius beobachtet, während ihre Freunde verbrannten. Auf seinem Gesicht lag ein solch abgrundtiefer Hass, dass sie erschauerte. Und dann erinnerte sie sich, dass sie diesen Ausdruck schon einmal bei ihrem Mann gesehen hatte. Damals, ebenfalls in der Arena, in der kaiserlichen Loge, als Cornelius irrtümlicherweise die Huldigung des Publikums auf sich bezogen hatte, bis Neros Mutter ihn einen Idioten genannt hatte. Damals hatte Cornelius Amelia mit unverhohlenem Hass angesehen… Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
Amelia weinte, wie sie noch nie in ihrem Leben geweint hatte, selbst damals nicht, als Cornelius ihr Kind beiseite geschafft hatte.
Während alle im Haus schliefen, lag sie auf ihrem Bett, das Gesicht in den Kissen vergraben, und ließ ihrem Schmerz freien Lauf. So lange sie lebte, würde sie das Bild von Raheis Tod nicht mehr vergessen. Ihr Kummer rief noch andere Gefühle hervor: Zorn, Verbitterung, Abscheu. Sie strömten wie Gift aus ihrem Körper, durchtränkten ihr Kopfkissen, bis ihre Tränen weit nach Mitternacht endlich versiegten und sie sich mit einem neuen Hassgefühl im Herzen aufrichtete. Der Hass richtete sich nicht gegen Kaiser Nero oder den Pöbel in der Arena. Er galt nur einem Mann, einem Monster namens Cornelius. Sie stahl sich in sein Schlafzimmer, blickte auf den schlafenden Mann, während leise Stimmen in ihr raunten: »Warum hat Nero die Christen bestraft? Hat er überhaupt von uns gewusst? In Rom gibt es religiöse Sekten wie Sand am Meer, und wir sind nur ein winziger Teil davon. Ein so bornierter Mensch wie Nero hätte von unserer Gruppe nie etwas erfahren, es sei denn, jemand hätte uns verraten. Jemand, der uns vernichten wollte.
Warst du das, Cornelius? Wolltest du mich damit bestrafen? Am Kreuz hängend, konnte Jesus seinen Peinigern vergeben, aber ich kann dir nicht vergeben, Cornelius.«
In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie ihn töten könnte. So wie er dalag, könnte sie ihn erdolchen, dann um Hilfe schreien, sich das Gewand zerreißen und den Leibwachen erklären, dass es ein Einbrecher gewesen sei. Mit dieser Ausrede könnte sie davonkommen. Dennoch wusste sie, dass sie Cornelius nie töten würde. Sie brauchte seinen Tod nicht, um frei zu sein, denn sie war ja bereits frei. Sie hielt den blauen Stein ins Mondlicht. Der Geist der ägyptischen Königin war verschwunden, seinen Platz hatte der Erlöser eingenommen.
Sie kam in der Begleitung eines hoch gewachsenen afrikanischen Sklaven, eines Christen. Er leuchtete ihr mit einer Laterne und würde jeden Dieb und Angreifer in den nächtlichen Straßen abwehren. An einem der Wohnblocks angekommen, die den Großen Brand ohne Schaden überstanden hatten, führte ihr Weg sie über verdreckte Stiegen, an fiependen Ratten und obszönen Schmierereien vorbei nach oben. Statt Türen gab es nur schäbige Stoffbahnen, die ein Stück Privatsphäre vermittelten.
Amelia kannte keine Furcht mehr. Sie hatte sich verändert. Sie war auf der Suche nach Antworten.
An der Wohnung, die man ihr genannt hatte, schob sie den Stoff beiseite und spähte nach drinnen. Die Bewohnerin, eine verhutzelte Alte, schaute erschrocken hoch. Sie wollte gerade ein bescheidenes Mahl einnehmen, ihre einzige Lichtquelle war der Mond. Amelia zog sich den Schleier vom Gesicht und hielt die Laterne hoch, damit die Frau sie erkennen konnte. »Kennst du mich, Mutter?«, fragte sie.
Die alte Frau stand stumm vor Schreck.
»Hab keine Angst. Ich will dir nichts Böses.« Amelia legte ein paar Münzen auf den Tisch. »Sag, erkennst du mich?« Die Hebamme blickte auf die Münzen, dann auf ihre unerwartete Besucherin. Sie stellte die Essschale ab und wischte sich die Finger an ihrem Kleid. »Ich erinnere mich an Euch.«
»Du hast mich vor sieben Jahren von einem Kind entbunden.
Einem Mädchen.« Die alte Frau nickte. »War das Kind verkrüppelt?« Die Alte schlug die Augen nieder. »Nein…«
Mit einem Mal bekam alles einen Sinn. Der Zorn ihrer Tochter.
»Es ist alles deine Schuld. Das Baby… alles! « Cornelia war elf Jahre alt gewesen, als das Neugeborene Cornelius zu Füßen gelegt wurde. In blankem Schrecken war sie ins Zimmer der Mutter gestürzt und hatte wissen wollen, warum ihr Papa den Säugling verstoßen hätte. Jetzt wurde Amelia alles klar. Das Kind war vollkommen gesund gewesen, und Cornelia, blind vor Liebe zu ihrem Vater, hatte nicht verstanden, warum er so etwas tat.
Jetzt erkannte Amelia
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