Kristall der Träume
die Wahrheit: Cornelias Hass galt nicht ihrer Mutter.
Zufrieden mit sich und der Welt betrat Cornelius seine Villa auf dem Aventin. Er hatte gerade einen Rechtsstreit gewonnen, und die Menge hatte ihm zugejubelt. In seinem Haus war wieder Frieden eingekehrt, Amelia verhielt sich ruhig. Seit sie der Hinrichtung der Christen in der Arena beigewohnt hatte, benahm sie sich züchtig und sittsam. Sie hatte sogar die verdammte Halskette abgelegt. Er trat in das Atrium. Keine Sklaven, kein Majordomus, die zur Begrüßung herbeieilten. Er wollte bereits nach ihnen rufen, als er Stimmen vernahm, die auf Lateinisch psalmodierten: »Vater unser, der du bist im Himmel, gesegnet sei dein Name, dein Königreich komme, gib uns unser täglich Brot, vergib uns unsere Sünden und verschone uns von dem Übel.«
Cornelius spähte in den Garten. Um Amelia scharte sich eine kleine Gruppe von Leuten, seine Sklaven und der Majordomus waren auch darunter, die mit ausgebreiteten Armen, zurückgelegtem Kopf und geschlossenen Augen andachtsvoll sangen.
Während sich alle bekreuzigten und mit einem »Amen«
schlossen, schlug Amelia die Augen auf und sah Cornelius herausfordernd an. Beide wussten, dass sie an einem Wendepunkt standen.
Nachdem Raheis gesamter Besitz von Nero beschlagnahmt worden war, sollte die Zusammenkunft an diesem Sabbat in Phoebes Haus stattfinden. Doch Phoebe war alt, sie litt unter Arthritis und brauchte Hilfe bei den Vorbereitungen für das Mahl. Trotz allem, was mit Rahel und den anderen geschehen war, wandten sich immer mehr Menschen dem Christentum zu, insbesondere, seit Nero die Verfolgung eingestellt hatte.
Ihre Gedanken drehten sich immer wieder um die Ereignisse der letzten Wochen. Nach dem Großen Brand hatten Gerüchte die Runde gemacht. Wie es hieß, hatte Nero versucht, die Götter zu besänftigen.
Doch kein Gebet, keine Opfergabe konnte den finsteren Verdacht auslöschen, dass das Feuer mit Absicht gelegt worden war - und zwar vom Kaiser selbst. Um seine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, war Nero gezwungen gewesen, einen Sündenbock auszumachen, und da war ihm die christliche Gemeinde gerade recht gekommen.
Seltsamerweise hatten die Christenverfolgungen nach den Geschehnissen im Zirkus jedoch aufgehört. Neros Rechnung war nicht ganz aufgegangen, die Menschen hatten die armen Opfer am Ende bedauert und gemeint, Unschuldige wären der Brutalität eines Einzelnen und weniger dem Allgemeinwohl geopfert worden.
Außerdem kümmerte man sich nicht um eine so unbedeutende Sekte, selbst Nero hatte sie über seinen eigenen Problemen vergessen. Und so konnten sich die Christen wieder freier bewegen. »Seid Ihr Amelia, die Gattin des Cornelius Gaius Vitellius?« Amelia fand sich einem Mitglied der Präfekturpolizei gegenüber, das Gesicht vom Visier seines Helms verborgen. Er wurde von sechs kräftigen Wachsoldaten begleitet. »Das bin ich«, antwortete Amelia. »Würdet Ihr bitte mitkommen?«
Die Präfektur, in der sich Roms Hauptgefängnis befand, war ein imposantes Gebäude in der Nähe des Forums. Hinter der Fassade aus blendend weißem Marmor mit kannelierten Säulen und wunderbaren Statuen verbarg sich ein finsteres Labyrinth aus dunklen Gängen und feuchten Verliesen.
»Warum bin ich hier?«, wollte Amelia wissen, als sie von grimmigen Wachsoldaten in die Unterwelt des Hauptgebäudes geführt wurde. Ihre Eskorte reagierte nicht, ihr schwerer Schritt und das Rasseln der Rüstungen hallten von den Wänden wider. Vor einer schweren Holztür machten sie Halt. Die Wache zog die Tür auf und bedeutete Amelia einzutreten. »Bin ich eine Gefangene?«, fragte sie ungläubig. Im Licht der Fackel blickte sie in eine enge, stinkende Zelle.
»Bitte sehr.« Die Wache wiederholte ihre einladende Geste.
Amelias erster Gedanke war, zu protestieren, ja sogar wegzurennen.
Aber das wäre sinnlos. Welcher Irrtum auch immer vorlag, die Angelegenheit würde in Kürze geklärt sein. Hoch erhobenen Hauptes schritt sie über die Schwelle, als beträte sie einen Tempel.
Die Tür schlug hinter ihr zu, und der Schlüssel drehte sich im Schloss. Als die Wachen mit den Fackeln davonmarschierten und die Zelle in Dunkelheit versank, wurde Amelia von Panik gepackt. Sie lief zur Tür, lehnte sich schwer atmend dagegen. Über ihrem Kopf, doch außer Reichweite, befand sich eine schmale, vergitterte Öffnung. Selbst auf Zehenspitzen würde Amelia nicht hinaussehen können. Von den Wandfackeln draußen im Gang sickerte spärliches
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