Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
späteren Sonnenwenden ihres Lebens zeigte sich die typische Streifenzeichnung auf dem Rücken. Der Junge raste auf einem mit stählernen Kufen versehenen Schlitten, der von seinen beiden Schneetigern an einem aus Seilen bestehenden Geschirr mit Begeisterung gezogen wurde, durch die spiegelglatt polierten Flure und hinterließ in der Oberfläche hässliche Furchen. Die Diener empörten sich darüber und hatten anfangs noch versucht, ihn von diesem Spiel abzuhalten. Aber der Lesvaraq hatte sie nur ausgelacht. Beschwerden bei der Fürstin des Hauses Alchovi blieben ungehört. Alvara hatte den Vortrag ihrer Diener zu deren Unmut milde lächelnd als harmlos abgetan.
»Lasst Tomal spielen. Er wird früh genug erwachsen werden und sich mit schwerwiegenden Herausforderungen beschäftigen müssen«, war ihre Rede.
Corusal hatte zu allem Überfluss – zumindest nach Meinung der Dienerschaft – den Eiskrieger Baylhard zum persönlichen Schutz des Lesvaraq abgeordnet und diesen bei der Ehre der Eiskrieger und eines Moldawarjägers schwören lassen, dass er unter Einsatz seines Lebens jegliche Gefahr und Unbill von Tomal fernhalte. Baylhard hatte der Anordnung des Fürsten, die weit mehr als eine Bitte war, lediglich unter Äußerung einiger schwerwiegenden Bedenken zugestimmt. Dabei war er sich eines Gewissenskonfliktes bewusst, denn er hatte sich bereits dem Fürsten gegenüber verpflichtet und konnte schwerlich zur selben Zeit für beide einstehen. Dem Wunsch des Fürsten musste er sich am Ende allerdings beugen. Corusal lockerte das ihm einst gegebene Versprechen zugunsten des Lesvaraq.
Ähnlich wie der ehemalige Anführer der Eiskrieger, Warrhard, war der riesenhafte Hüne bei den Dienern gefürchtet. Alleine das mächtige Aussehen eines wilden, unbesiegbaren Kriegers, die harten Gesichtszüge und zahlreichen Narben, die seinen Körper zierten, und die raue Stimme ließen das Schlimmste erahnen, ein gewaltbereites und grausames Wesen, das jeden Gedanken, ihm zu widersprechen oder sich ihm sogar entgegenzustellen, im Keim ersticken musste. Sie zollten ihm den notwendigen Respekt und erfüllten ihm die selten geäußerten Wünsche rasch und eifrig, um sein Wohlwollen oder zumindest ein freundliches Nicken zu erlangen. Diese natürliche, auf einen potenziellen Gegner abschreckende Ausstrahlung hatte durchaus ihre Vorteile, wie Corusal meinte. Warrhard hatte diese Wirkung erzielt und Baylhard stand ihm in nichts nach, war vielleicht noch charismatischer als sein loyaler Vorgänger. Selbst bei einem Bewahrer wie Lordmaster Chromlion war die Aura des Eiskriegers nicht spurlos vorübergegangen. In manch kritischen Situationen half sie bewaffnete Auseinandersetzungen zu vermeiden. Corusal war es vor allem wichtig, dass solcherlei Konflikte von Anfang an verhindert werden konnten. Das war einer der Gründe, warum er sich Warrhard und nach dessen Tod Baylhard zum Freund und Leibwächter erwählt hatte. Trotz seines mörderischen Aussehens hatte Baylhard ein gutes, großes und vor allem treues Herz, das keinerlei Verrat kannte. Das Verhalten der Diener des Palastes fiel ihm zwar auf, störte ihn jedoch nicht weiter. Er ließ sie meist kopfschüttelnd gewähren.
Beinahe schlimmer noch als das spielerische Toben des Lesvaraq durch die Palastflure wurde seine Vorliebe für das Erschrecken der Dienerschaft oder Gäste des Fürsten empfunden. Er versteckte sich gerne, überfiel vorübergehende Diener und Fürsprecher von hinten mit lautem Gebrüll, in das die Schneetiger mit Freude einfielen, und hatte seinen Spaß daran, wenn sie dabei vor Schreck Speisen fallen ließen oder einen großen Sprung in die Luft machten und anschließend auf die Nase fielen. In besonderem Maße fürchteten sie sich jedoch vor dem Blick, den er zuweilen aufzusetzen pflegte und der ihnen regelmäßig einen Schauer über den Rücken jagte. Bald hatte sich hinter vorgehaltener Hand das Gerücht verbreitet, der Junge sei eine Ausgeburt der Dunkelheit. Bestimmt war es bei der Geburt nicht mit rechten Dingen zugegangen; hatte sich die Fürstin doch alle Mühe gegeben, ihre Schwangerschaft geheim zu halten, und niemandem außer einer Orna war es erlaubt gewesen, bei der Geburt zugegen zu sein. Wen wunderte dieses Verhalten? Fürst und Fürstin hatten lange sehnsüchtig, aber ohne Erfolg auf ein Kind gehofft. Und plötzlich waren sie zur Überraschung aller mit einem Sohn und Erben gesegnet worden. Ob dies tatsächlich ein Segen für das Fürstenhaus war, musste
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