Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
echten Trost zu spenden, denn er fürchtete sich vor dem, was ihn erwartete.
Sie waren weit gen Süden gesegelt und hatten die östliche Küste des Riesengebirges seit einigen Horas hinter sich gelassen; so weit, bis sie die Grenzen der Dämmerung überschritten hatten und Dunkelheit vorherrschte. Nebel war über dem Meer aufgestiegen und umgab das Boot in einer undurchdringlichen Wand in allen Richtungen. Die Jagd würde für den Eiskrieger bei diesen Sichtverhältnissen zu einer Herausforderung werden.
»Wir sind angekommen«, sagte der Eiskrieger, »macht Euch bereit. Unter uns befindet sich eine Fressstraße der Moldawars.«
Er holte zum Entsetzen des Praisters das Segel ein. Das Fischerboot schaukelte auf den Wellen hin und her. Henro schauderte bei dem Gedanken, den Naturgewalten in dieser besseren Nussschale, umgeben von Raubfischen hilflos ausgesetzt zu sein.
»Ich werde Euch häuten«, erklärte Baylhard, während er ein Fischmesser auf dessen Schärfe prüfte. »Moldawars lieben einen liebevoll präparierten Happen.«
Henro riss vor Schreck die Augen auf, als sich der Eiskrieger über ihn beugte und das Gewand vom Leib schnitt. Der Praister war Baylhard hilflos ausgeliefert. Dieser machte sich ans Werk, als hätte er lediglich einen gewöhnlichen Tierköder vor sich. Die Schmerzensschreie des Praisters rührten ihn nicht im Geringsten, als er Henro für den letzten Gang vorbereitete. Nach einer Weile verlor der Praister das Bewusstsein.
Den an den meisten Stellen von der Haut befreiten fleischigen und blutenden Körper band Baylhard an den Handgelenken an ein langes Seil und warf ihn über Bord. Die Haut warf er gleich hinterher. Das eiskalte Wasser und der brennende Schmerz, den das Salzwasser auf den offenen Wunden verursachte, war ein Schock und weckte Henro aus der Bewusstlosigkeit. Er drohte zu ertrinken. Wild zappelnd arbeitete er sich an die Wasseroberfläche und versuchte sich schreiend über Wasser zu halten, wobei er immer wieder Wasser schluckte. Die Bewegungen würden die hungrigen Raubfische gewiss anlocken.
Baylhard machte es sich auf dem Boot gemütlich und wartete geduldig. Er wusste, dass es nicht allzu lange dauern konnte. Die Moldawars würden dem Angebot nicht widerstehen können. Er wartete, bis der erste Moldawar, vom Blut angelockt, den Köder entdeckt und angebissen hatte.
Ein kräftiger Ruck ging durch das Boot. Es war so weit. Baylhard spähte in froher Erwartung über den Bordrand. Er hatte Glück. Der Flosse nach zu urteilen hatte ein großer Moldawar angebissen. Er schätzte den Raubfisch auf eine Länge von gut und gerne siebzig Fuß, mehr als dreimal so groß wie das Boot, wenn nicht gar mehr. Baylhard packte sich einen langen Speer und befestigte diesen an einem Seil, das er sich am anderen Ende um das Handgelenk band. Der Moldawar hatte dem Köder den Unterleib bis zur Brust mit einem einzigen Biss abgetrennt. Henro war endgültig zu den Schatten gegangen. Die Jagd und der Ritt auf dem Moldawar begannen.
Als Baylhard in den folgenden Tagen in den Hafen nach Eisbergen zurückkehrte, trug er die wertvolle Haut und das mächtige Gebiss eines Moldawars bei sich und bestätigte ihm somit eine erfolgreiche Jagd. Im Hafen brannten zahlreiche blaue Feuer, und die Flaggen mit den Symbolen des Hauses Alchovi waren auf halbmast herabgelassen worden. Ein Zeichen für eine Trauer.
Eisbergen trauerte um seinen Fürsten Corusal Alchovi.
D RACHENSTERBEN
D ie Zeit der Dämmerung bereitete den Tartyk großen Kummer. Immer weiter hatte sich die Dunkelheit in den vergangenen Monden ausgebreitet, bis sie schließlich auch das Südgebirge und die Felsenstadt Gafassa erreicht hatte. Sie hatten den Rat der Alten nach der Ursache befragt, doch der Älteste unter ihnen war mit Calicalars Sohn Sapius auf eine Reise in den Norden aufgebrochen und bislang nicht zurückgekehrt. Natürlich wussten sie, dass der dunkle Hirte nach seinem Erwachen schuld an der Misere war, aber sie wollten ergründen, was genau er mit seiner Heraufbeschwören der Dämmerung im Schilde führte. Der Rat hatte zwar getagt und sich über Lösungen die Drachenköpfe zerbrochen, war jedoch eine Antwort schuldig geblieben.
Ohne die Führung des Yasek im Fluge und dessen Drachen Haffak Gas Vadar hatten die übrigen Drachenreiter nicht gewagt, sich des Phänomens anzunehmen, und harrten tatenlos der Dinge, die sie noch befürchteten. So hofften sie auf das baldige Eintreffen des ältesten Drachen, dessen Weisheit, die
Weitere Kostenlose Bücher