Kullmann
fertig bringen konnte, aber das spielte nun keine Rolle mehr. Esche hatte auf seine Art zurückgeschlagen. Er hatte Kullmann ganz auf seine Seite gezogen.
Ihr Kopf raste, diese bittere Enttäuschung traf sie unerwartet.
Kullmann erschrak über ihre heftige Reaktion und fragte sofort: »Kann es sein, dass ich etwas Bestimmtes wissen sollte?«
Mit dieser Frage brachte er Anke wieder aus dem Konzept. Hörte sie da wieder die alte vertraute Fürsorge, die sie in den letzten Tagen so sehr an ihm vermisst hatte? Vielleicht könnte ihre Abschottung von ihm zu voreilig sein. Schließlich war Kullmann durch eine böse Intrige auf eine Spur aufmerksam gemacht worden, der er sich schon aus beruflichen Gründen nicht entziehen konnte. Er musste den Hinweisen folgen, persönliche Motive standen dabei im Hintergrund. Wie versteinert saß sie nur da und starrte die Wand an.
»Wenn Sie etwas auf dem Herzen haben, sprechen sie mit mir! Nur so können Missverständnisse vermieden werden«, bat er sie immer noch in seinem vertrauten, väterlichen Ton. Dieser Stimmungswechsel verwirrte Anke, auch wenn sie sich darüber freute, wieder einen Funken Hoffnung zu spüren, was ihre erwünschte, aber arg erschütterte Zusammenarbeit mit Kullmann betraf. Auch wenn es ihr noch nicht gelang, sich ihm zu öffnen, nach allem, was sie in den letzten Tagen erlebt hatte, so wollte sie ihn auf keinen Fall verärgern. Also nickte sie nur, brachte aber kein Wort über die Lippen. Mit einem resignierten Tonfall reagierte Kullmann darauf: »Vielleicht ist es besser, Sie machen ein paar Tage Urlaub, um wieder zur Ruhe zu kommen. Dann reden wir wieder miteinander. Ich möchte Sie auf keinen Fall vorübergehend beurlauben müssen, weil ich Ihnen Unannehmlichkeiten ersparen will. Im Fall Robert Spengler können Sie wegen Befangenheit nicht weiterhelfen.«
Anke nickte und verließ sein Zimmer. Aus ihrem Büro nahm sie ihre Handtasche vom Schreibtisch und wollte gerade gehen, als Esther in der Tür stand: »Wo gehst du hin?«
»Ich bin beurlaubt und gehe nach Hause«, antwortete Anke kraftlos.
»Daran bist du selbst schuld«, begann Esther, womit sie Anke in Erstaunen versetzte. »Du hättest Esche nicht so behandeln dürfen. Er ist nicht schlecht und das, was du ihm angetan hast, hat er wirklich nicht verdient. Er hätte sterben können!«
Anke erschrak: »Woher willst du das wissen?«
»Horst hat mir alles erzählt! Er hat mir genau erklärt, warum er sich so sicher war, bei dir landen zu können. Du hast ihn regelrecht angemacht«, gab sie zur Antwort und wollte Anke verlassen. Doch Anke hinderte Esther daran und konterte: »Anscheinend hat er dir doch nicht alles erzählt! Niemals habe ich Esche angemacht!«
»Gib es doch zu! Jede Frau fühlt sich geschmeichelt, wenn Esche sich für sie interessiert!«
*
Kullmann stand am Fenster, als Anke schweren Schrittes das Büro verließ. Schon bereute er es, sie so hart angefasst zu haben. Aber in ihrer Verliebtheit hatte sie Fehler gemacht, die er nicht an ihr kannte und die ihre berufliche Laufbahn gefährden könnten. Kopfschüttelnd begab er sich in das Verhörzimmer, wo Robert Spengler mit seinem Anwalt auf ihn wartete.
Wie Kullmann erwartet hatte, verlief das Verhör äußerst schwierig, weil der Anwalt, Bertram Klose, es fast unmöglich machte, eine klare Aussage zu bekommen. Aber Kullmann blieb hartnäckig und nach mehreren Zurechtweisungen des Anwalts stellte er eine Frage, die sogar den Anwalt eine Weile verstummen ließ: »Es gibt da noch etwas, was ich einfach nicht verstehe. Sie wirken sehr besonnen auf mich, wie jemand, der zuerst überlegt, bevor er handelt. Wie ist es nur möglich, dass Sie Horst Esche tätlich angegriffen haben, als er Sie befragen wollte? So etwas kommt bei uns wirklich sehr selten vor!«
Ganz überrascht reagierte Robert mit einer Gegenfrage: »Was heißt hier tätlich angegriffen? Ich habe Horst Esche nicht mehr gesehen, seit die Befragungen über den Tod meiner Mutter aufgehört haben.«
Diese Antwort verwirrte Kullmann. Da stimmte etwas nicht. Einerseits war es verständlich, dass Robert seine Haut retten wollte, aber andererseits hatte Kullmann genügend Erfahrungen mit Verhören, um zu wissen, wann der Befragte log. In diesem Fall konnte er nicht das geringste Anzeichen erkennen, dass Robert log. Aber konnte er sich bei Robert Spengler wirklich auf seinen langjährigen beruflichen Erfahrungsschatz berufen? Da saß er einem Mann gegenüber, der gut und gerne sein
Weitere Kostenlose Bücher