Kultur 08: Der Algebraist
Cartouche wollten
schießen.
- Empfehlen Feuer frei/Empfehlen Feuer frei, riefen die
anderen Taktiker im Chor.
- Feuer frei, genehmigte Flottenadmiral Kisipt. – Vize?
Vizeadmiral Taince Yarabokin war der gleichen Meinung. – K-Eins, Z-Drei; Feuer frei.
- K-eins: Feuer.
- D-drei: Feuer.
Im Takraum sah man von den beiden Schiffen grellrote Strahlen
aufzucken. Die limonengrünen Pünktchen mit den eigenen
Statusleisten waren Raketen, die auf die feindlichen Schiffe
zurasten.
- Mehrfachtreffer im Trümmerfeld Z-Eins, meldeten die
Fernsensoren.
- Fächer fortsetzen?
- Fächer fortsetzen, bestätigte Taince. Sie
beobachtete die Blitze vor sich. Die wild rotierenden,
umherwirbelnden, Purzelbäume schlagenden Trümmer der Petronel wurden weiter von feindlicher Artillerie getroffen.
Die Reste stürzten rasch auf die Hauptflotte zu, die sich rasch
nach außen verteilte. Sie rief den Countdown bis zur Kollision
ab: sechsundsiebzig Sekunden. Sie stellte die Anzeige auf Hautkontakt
um, um ihr Sichtfeld nicht unnötig zu überfüllen.
Das Laserfeuer der Mitrailleuse und der Cartouche hatte bisher nichts bewirkt. Die Raketen waren noch auf dem Weg
zum feindlichen Schiff. Noch gab es keine Anzeichen für einen
Gegenschlag.
Und wenn wir uns irren?, dachte Taince. Vielleicht haben
sie uns und unser ach so raffiniertes Manöver ja schon
längst durchschaut? Ohne es selbst zu merken, brachte sie in
den Tiefen ihrer Überlebenskapsel so etwas wie ein Achselzucken
zustande. Und wenn schon. Dann sind wir eben bald tot. Wenigstens
müsste es schnell gehen.
- Fächer fortsetzen?
- Fächer fortsetzen, bestätigte sie abermals.
Wartete, wog ab, fragte sich, ob das Manöver wohl klappen
würde. Im Takraum erschienen aus zweiter Hand, zunehmend
überholt, die Kontakte, die die Petronel ausgemacht
hatte. Eine leuchtende Wolke aus pulsierenden gelben Echos, die sich
langsam auflöste. Die beiden harten Kontakte, die immer noch von
den Sensoren der Mitrailleuse und der Cartouche registriert und nun auch von anderen Schiffen in der Nähe
bestätigt wurden, waren rote Blinklichter, die langsam
näher kamen. Die Trümmer der Petronel, eine
getüpfelte, violette Masse, die sich allmählich ausdehnte,
trieben genau von vorne auf sie zu.
Alles in Ordnung, beruhigte sich Taince. Es ist
zu schaffen.
Sie hatten das ganze Verfahren in VR-Simulationen immer und immer
wieder geprobt, um sich gezielt auf diesen Fall, diesen Hinterhalt
samt Manöver und Reaktion vorzubereiten.
Die Beyonder würden sicherlich damit rechnen, dass eine
Flotte von Zenerre nach Ulubis geschickt wurde. Und es gab
natürlich nur eine schnellstmögliche Route; die
Direttissima, gerade wie ein Laserstrahl, leicht gekrümmt nur
durch Einbeziehung der minimalen Relativbewegung der beiden Systeme,
die mit dem Rest des galaktischen Randes in fünfzigtausend
Lichtjahren Entfernung um den Kern des großen Rades
kreisten.
Sollte die Flotte also diese Route wählen und sich
Überfällen durch andere Schiffe und – noch
bedrohlicher – durch Weltraumminen aussetzen? (Wozu
überhaupt Weltraumminen, wenn ein paar Tonnen zertrümmertes
Gestein die gleiche Wirkung erzielten? Man zerschlage einen kleinen
Asteroiden zu Kies von Reiskorngröße und verstreue ihn
über den Weg, den die Flotte nehmen würde. Wenn die Schiffe
schnell genug flogen, bliebe nichts übrig. So knapp unter
Lichtgeschwindigkeit brauchte man keine zielsuchenden
Explosivgeschosse, jede einfache Kollision war vernichtend.) Oder
sollte sie weiter ausschwenken, um nicht so leicht abgefangen zu
werden, und dafür in Kauf nehmen, dass sie später ans Ziel
kam?
Und sollten die Schiffe zusammenbleiben (was vernünftig, aber
auffällig war) oder sich trennen? Sollten sie einzeln nach
Ulubis fliegen und sich erst kurz vor dem Ziel zusammenfinden (sehr
riskant, aber möglicherweise eine Taktik, die der Feind nicht
erwartete)? Letztlich hatte der Flottenadmiral aus einem Bündel
schwach gekrümmter Routen, die von den Strategen und ihren
Sub-KI-Maschinen empfohlen wurden, eine ausgewählt, und dann
hatte die gesamte Flotte diesen Kurs genommen.
Es war ein Lotteriespiel. Sie riskierten, dass sie abgefangen
wurden, besonders wenn die Beyonder tatsächlich so viel Material
zwischen Zenerre und Ulubis deponiert hatten, wie man vermutete.
Für sie wäre die einfachste Strategie, etwa auf halbem Wege
kleinere Schiffe und Sensorplattformen zu postieren und die
eigentlichen Abfangschiffe – bereits mit hoher
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