Kultur 08: Der Algebraist
trafen mehrfach
feindliche Schiffe, die mit voller Kraft von außen heranrasten.
Im Takraum loderten Feuerstrahlen nach allen Seiten wie die Speichen
um eine fadendünne Nabe, dazwischen trudelten grün
leuchtend wie winzige Smaragde die Raketen. Die Beyonder versuchten
noch, die Flotte einzukreisen, aber es war zu spät. Die
feindlichen Maschinen, die am dichtesten herankamen, wurden nur
selbst zerstört. Zwei Minuten später hatte die
Merkatoria-Flotte das Feld ohne Verluste durchquert, und eine Minute
danach war alles Feuer nach hinten gerichtet: ein Kegel aus roten
Linien fegte wie ein wirbelnder Rock in die sich leerenden Tiefen des
Weltalls. Von jetzt an hätte die Flotte in allen Kampfhandlungen
das Sagen und könnte mit ihrer überlegenen Feuerkraft den
Anfang wie das Ende bestimmen.
- Gute Arbeit, Vize. Flottenadmiral Kisipt klang ein wenig
überrascht, ein wenig enttäuscht und ziemlich beeindruckt.
Taince wusste, dass viele ihrer Offizierskollegen sich eine richtige
Schlacht gewünscht hätten, aber diese Lösung war
besser, schneller und eleganter gewesen. ›Gute Arbeit‹
– von einem Voehn war das höchstes Lob.
- Danke. Tainces Gedankenstimme blieb ruhig, aber innerlich
war jetzt ihr nach einem Freudengeheul zumute. Sie ballte in ihrer
dunklen Fruchtblase, inmitten von Schläuchen und Drähten
die Fäuste, ihre Züge entspannten sich zu einem
Lächeln, und ein leises Zittern durchlief ihren schwimmenden
Körper.
Das Haus der Familie Kehar auf Murla, einer Insel vor der
Südküste, ein paar hundert Kilometer von Borquille
entfernt, war kugelförmig wie der Palast des Hierchon. Es hatte
nur ein Viertel von dessen Größe, aber dafür
balancierte es auf einer gewaltigen Wassersäule wie ein Ball auf
einer Fontäne auf dem Rummelplatz.
Saluus Kehar stand, adrett bis in die Fingerspitzen, strotzend vor
Gesundheit und strahlend wie eines der blitzblanken Raumschiffe, die
in seinen Fabriken gebaut wurden, auf der schlanken
Hängebrücke, um Fassin persönlich willkommen zu
heißen. Die Brücke überspannte die Kluft zwischen der
Landzunge, die in den uralten, überfluteten Krater hineinragte,
und dem Haus, das leise zitternd auf der tosenden, Gischt
versprühenden Wassersäule schwebte.
»Fassin! Wie schön, dich wiederzusehen! He! Die Uniform
steht dir ausgezeichnet!«
Fassin hatte erwartet, instruiert / indoktriniert / psychogetestet
/ angefeuert / und sonst wie durch die Mangel gedreht, auf ein Schiff
gesteckt und schnurstracks nach Nasqueron verfrachtet zu werden. Doch
die Bürokratie von Ulubis verließ auch in der dringendsten
Notlage ihrer Geschichte die eingefahrenen Geleise nicht und hielt
sich offenbar an die zentrale Maxime: Allzu große Eile bei
Maßnahmen von großer Tragweite könnte von Übel
sein.
Nachdem die KI-Projektion im Audienzsaal des Hierchon ihre Befehle
übermittelt und um Fragen gebeten hatte, ging es hoch her. Es
wurden Reden geschwungen, jeder versuchte, Punkte zu machen und sich
abzusichern, man schoss zurück und wehrte schon im Vorfeld
eventuelle Schuldzuweisungen ab. Admiral Quiles Abbild beantwortete
alle Fragen mit einer unerschütterlichen Ruhe, die
wahrscheinlich mehr als alles andere bewies, dass es sich
tatsächlich um eine KI handelte. Ein Mensch – noch dazu ein
Admiral, der an prompten und widerspruchslosen Gehorsam gewöhnt
war – hätte lange vor dem Ende der Veranstaltung die Geduld
verloren. Man deutete so oft auf Fassin und verwies auf ihn, bis er
sich schließlich des Gefühls nicht mehr erwehren konnte,
alles sei allein seine Schuld. Was wohl irgendwie auch richtig war.
Das Ganze dauerte so lange, dass Fassins Magen – vielleicht
angeregt von der Stimmung im Saal – zu knurren anfing.
Schließlich hatte er seit dem Frühstück am
frühen Morgen auf ’glantine nichts mehr gegessen.
»War das wirklich alles?«, fragte die Projektion
über dem Kochkessel, als endlich auch dem Redseligsten unter den
Anwesenden die Fragen und Argumente ausgegangen waren und es keinen
Rücken mehr zu decken gab. Es klang weder flehentlich noch
erleichtert, obwohl Fassin beides durchaus hätte verstehen
können.
»Nun gut. Dann möchte ich mich verabschieden und Ihnen
viel Glück wünschen.«
Das Hologramm des kahlköpfigen Mannes mit den
Schädeltätowierungen, dem Faltengesicht und der mit Orden
behängten, gepanzerten Uniform warf einen letzten Blick in die
Runde, grüßte den Hierchon mit einer zackigen Verbeugung
und verschwand. Zunächst wusste niemand
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