Kurs auf Spaniens Kueste
Sir. Das Großsegel gerefft, Sir?«
»Nein, Mr. Dillon, kein Reff«, entschied Jack lächelnd und nahm seinen Spaziergang wieder auf. Um ihn herum erklangen Befehle, hastige Schritte, das Trillern der Bootsmannspfeifen, aber er registrierte die ganze Aktivität seltsam distanziert; seltsam auch, daß sein Herz so heftig schlug.
Die Sophie fiel weich ab. »Recht so, recht so«, rief der Master, und der Rudergänger kam auf. Während sich das Schiff vor den Wind legte, fiel das Gaffelgroß in riesigen wabernden Wolken in sich zusammen, die aber schnell zu einer langen, grauen, steifen Wurst gebändigt wurden. Gleich darauf entfaltete sich das andere Großsegel an seiner Rah und wölbte sich kurze Zeit schlagend und flatternd, bis es gebändigt und von seinen nach achtern durchgesetzten Schoten und Halsen gestrafft wurde. Die Sophie machte förmlich einen Satz nach vorn. Bis Dillon: »Belegen!« kommandiert hatte, war sie bereits um zwei Knoten schneller, drückte den Steven so tief ins Wasser und steckte das Heck so hoch in die Luft, als hätte ein Fremder für sie überraschend die Zügel übernommen. Was ja auch zutraf. Dillon stellte einen zweiten Mann ans Rad für den Fall, daß sie in einem plötzlichen Windloch querschlagen wollte. Das Großsegel spannte sich an seiner Rah so straff wie ein Trommelfell.
»Der Segelmacher zu mir«, befahl Jack. »Mr. Henry, können Sie noch eine Tuchbahn an dieses Großsegel nähen, eine mit hohlem Unterliek?«
»Nein, Sir.« Der Segelmacher schien seiner Sache ganz sicher zu sein. »Nicht bei diesem mürben Tuch. Und nicht bei dieser dünnen Rah. Sehen Sie sich nur den fürchterlichen Bauch an, den das Segel jetzt schon hat — steht wie eine Schweineblase, offen gesagt.«
Jack trat zur Reling und starrte in das vorbeiströmende Wasser hinunter, auf den langen Bogen, den es nach der Senke unter dem Leebug wieder nach oben beschrieb. Er grunzte und wandte sich wieder um, spähte zur Großrah hinauf, diesem gut zehn Meter langen Rundholz, das sich von sieben Zoll Durchmesser in der Mitte auf drei Zoll an den beiden Enden verjüngte.
Eher ein Flitzbogen als eine Großrah, dachte er vielleicht zum zwanzigsten Mal, seit sein Blick darauf gefallen war. Aufmerksam studierte er, wie sich der Winddruck auf die Rah auswirkte. Die Sophie lief nicht mehr so schnell, deshalb wurde die Belastung kaum noch gemindert. Die Rah bog sich, bis Jack glaubte, das Holz knirschen zu hören. Da die Sophie eine Brigg war, führten ihre Brassen nach vorn; deshalb war die Krümmung an den Enden der Rah am stärksten, was Jack besonders wurmte. Aber auch auf ganzer Länge war sie aus der Geraden gebogen. Die Hände auf dem Rücken, stand er da und wandte keinen Blick von der Spiere. Die anderen auf dem Hüttendeck — Dillon, Marshall, Pullings und der junge Ricketts — wagten nicht zu sprechen, sondern starrten nur abwechselnd das Großsegel und den Kommandanten an. Sie waren nicht die einzigen, die sich fragten, was vorging. Die meisten erfahrenen Leute an Deck schlossen sich dieser doppelten Prüfung an — ein forschender Blick nach oben, dann ein geheimer Seitenblick auf den Kommandanten. Da sie nun vor dem Wind segelten — oder fast vor dem Wind —, sich also in dieselbe Richtung fortbewegten wie dieser, war das Singen in der Takelage so gut wie verstummt. Das langsame, stetige Rollen des Schiffes — keine Dwarssee brachte es mehr zu Hackbewegungen — verursachte nur wenig Geräusch. Hinzu kamen die gemurmelten Bemerkungen der gespannten Männer, so leise, daß sie unverständlich blieben. Nur eine einzelne unvorsichtige Stimme drang bis zum Hüttendeck: »Er segelt uns noch die Spieren ab, wenn er so weitermacht.«
Jack allerdings hörte sie nicht. Er war so in seine Einschätzung der entgegengesetzt wirkenden Kräfte vertieft, daß er die Spannung an Bord überhaupt nicht wahrnahm. Es waren keine mathematischen Berechnungen, die er anstellte, eher gefühlsmäßige: die gespannte Erwartung eines Reiters, der ein fremdes Pferd zwischen den Schenkeln hatte und eine dunkle Hecke auf sich zurasen sah.
Schließlich ging er unter Deck, und nachdem er eine Zeitlang aus den Heckfenstern gestarrt hatte, warf er einen Blick in die Karte. Kap Mola mußte jetzt an Steuerbord voraus liegen und bald in Sicht kommen; durch die Umströmung des Kaps würde der Wind stärker werden und damit die Belastung im Rigg wachsen. Fast tonlos eine Mozart-Arie pfeifend, dachte er: Wenn ich Erfolg habe und einen
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