Lacunars Fluch, Teil 4: Rastafans Buße (German Edition)
Eingang gefunden, aber ihn nicht verraten wollen. Deshalb hatte er ihm eine Geschichte von einer Tafel mit geheimnisvollen Zeichen erzählt, um ihn abzulenken. Verflucht! Thorgan biss sich auf die Lippen. Warum bin ich Narr damals unten geblieben? Radomas hat längst gewusst, wie man zum Schatz vordringt. Ja, vielleicht hat er ihn in aller Ruhe Stück für Stück aus der Pyramide hinausgetragen und sich über die Dummköpfe, die in den Ruinen ausharrten, halb totgelacht. Wenn es sich so abgespielt hat, dann ist es kein Wunder, dass er sich nicht mehr blicken lässt.
Thorgan wartete, bis er Jaryn und Caelian aus den Augen verloren hatte. Sie waren hinter der Spitze verschwunden. Nun gab es da nur noch eine alte Frau. Der würde er den Hals umdrehen und dann den beiden nachschleichen. Doch als er bei den Pferden ankam, war die Frau verschwunden. Thorgan sah sich um, seine Blicke wanderten die Düne hinauf. Nichts. Das begriff er nicht. Sie konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben. Am liebsten wäre er den beiden sofort nachgestiegen, aber er durfte die Frau nicht laufen lassen. Sie würde reden. Also musste er sie suchen. Fluchend lief er den Weg ein Stück entlang, aber die Frau war nicht zu sehen.
Wohin konnte sie gelaufen sein? Hier gab es doch keine Verstecke. Er stemmte die Hände in die Hüften und überlegte. Doch das brachte ihn nicht weiter. Als er ärgerlich zu den Pferden zurückkehren wollte und sich umdrehte, wuchs vor ihm aus dem Sand eine schreckliche Gestalt. Flatterndes Gewand, düstere Schwingen, wirres nebelgraues Haar und ein Gesicht aus Erde geformt. Sie kreischte wie eine hungrige Hyäne.
Thorgan glaubte nicht an Dämonen, zu lange lebte er schon in der Wüste und hatte noch nie einen erblickt. Aber dieses Schreckgespenst war so unvermittelt vor ihm aufgetaucht, dass er keine Zeit fand, darüber nachzudenken. Das nackte Entsetzen hatte ihn gepackt, und er sank schlotternd auf die Knie. Als er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, war der Sanddämon bereits weitergegangen und winkte ihm. Thorgan stand torkelnd auf und wischte sich über die Augen. Was beim Herrscher aller Sandflöhe war das gewesen?
Der Dämon blieb bei den Pferden stehen und zeigte auf die Pyramidenspitze. Unwillkürlich folgte Thorgans Blick dieser Geste. Er konnte nichts Besonderes erkennen, aber als er nach dem Dämon sah, war dieser schon wieder verschwunden. Plötzlich stand er neben ihm. Berührte ihn sogar am Arm. Thorgan erschrak fürchterlich und schrie auf.
»Fürchte dich nicht«, sagte eine raue Stimme. »Ich werde dich zum Schatz führen.«
Thorgan versuchte, sich zu beruhigen. »Wer bist du?«, stammelte er.
»Die Jula von Gerankor.«
Eine Jula? Kein Dämon. Jetzt sah Thorgan auch, dass es sich um die alte Frau handelte. Ihr Gesicht war sandverkrustet und aus ihren Kleidern rieselte feiner Wüstenstaub. Ihre weiten Ärmel hatte er für Schwingen gehalten. Nur eine alte Frau. Thorgan wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. Aber eine Jula war keine gewöhnliche Frau. Sie kannte viele Geheimnisse und sprach mit den Geistern. Thorgan hatte vergessen, dass er nicht an Geister glaubte, denn sie hatte gesagt, sie werde ihn zum Schatz führen.
»Was weißt du von dem Schatz?«, fuhr Thorgan sie an.
Kalisha lächelte. Sie hatte ihn längst entdeckt, wie er sich tollpatschig angeschlichen hatte. Aber unbeholfen oder nicht, von dem Mann ging eine tödliche Gefahr aus, und sie hatte rasch handeln müssen. Schnell wie eine Wüstennatter hatte sie sich im lockeren Sand eingegraben. Das war bei ihr im Dorf eine übliche Vorgehensweise, um sich zu verstecken, wenn Banditen das Dorf überfielen. Zu diesem Zweck führten viele stets ein Röhrchen aus Schilfrohr bei sich. Das Gesicht hatte sie kurz angefeuchtet, damit der Sand daran haften blieb. Natürlich war ihre Verkleidung als Dämon schnell zu durchschauen, aber sie musste sich auf den Überraschungseffekt verlassen, und der hatte bisher immer gewirkt. Jetzt musste sie ihre Rolle als Zauberin nur noch glaubwürdig weiterspielen.
»Hast du die beiden gesehen? Sie sind in die Pyramide gegangen. Aber der Schatz, den es zu heben gilt, ist so gewaltig, dass sie ihn nicht allein fortschaffen können. Es bleibt genug für dich übrig.«
Thorgan kniff die Augen zu einem Spalt zusammen. »Und weshalb willst du, dass ich etwas davon bekomme?«
Sie warf einen Blick auf seinen rechten Arm, wo sich vom Ellenbogen bis zum Handgelenk eine Narbe erstreckte.
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