Land der Sehnsucht (German Edition)
Mademoiselle Girard, würden Sie gern die Spezialität dieses Abends probieren?“
Véronique lächelte zu Lilly hinauf und musste an das Gespräch mit Dr. Hadley denken. „Oui, Mademoiselle Carlson. Ich habe gehört, dass das gebratene Hähnchen heute Abend besonders köstlich ist.“
„Oui, Mademoiselle“, nickte Lilly. „Très délicieuse.“
Während sie Lilly nachschaute und das starke Hinken sah, hoffte Véronique, der Chirurg in Boston würde dem Arzt in Willow Springs bald antworten.
Das Lachen einer Familie, das von einem Tisch in der Ecke kam, erregte ihre Aufmerksamkeit. Ein Mädchen, nicht älter als vier oder fünf Jahre, saß zwischen zwei Erwachsenen auf einem bemalten Holzblock, der auf einem Stuhl lag. Der Vater beugte sich vor und kitzelte das kleine Mädchen an der Nase. Sie hielt sich die Hände übers Gesicht, kicherte laut und versuchte sich zu verstecken, während ihr Vater sie wieder zu kitzeln versuchte.
Véronique sah eine Weile fasziniert zu. Wie musste es sein, wenn man von seinem Vater so geliebt wurde? Wenn man eine so aufrichtige, verspielte Bewunderung genoss? Sie wünschte, sie hätte ihrer Mutter vor ihrem Tod mehr Fragen über ihren Vater gestellt. Sie hatten sich oft über Véroniques Vater unterhalten, als sie jünger gewesen war, aber als die Jahre vergingen und sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden hatten, waren die Gespräche über ihn weniger und distanzierter geworden.
Véronique drehte ihren Stuhl so, dass die Familie nicht mehr in ihrem direkten Blickfeld war.
In der letzten Woche hatte sie Jack bei drei kürzeren Lieferfahrten begleitet, die alle ohne die Herausforderungen vonstatten gegangen waren, die sie bei ihrer Fahrt nach The Peerless erlebt hatte. Diese Bergbaustädte – Beaver Run, Spitfire und Bonanza – waren kleinere Orte. Sie lagen näher an Willow Springs und nicht so hoch, sodass auch ihre Höhenangst ihr das Leben nicht allzu schwer gemacht hatte.
Aber eines hatte sich als schwer erwiesen: Niemand hatte von ihrem Vater gehört. Es war, als hätte es ihn nie gegeben. Wenigstens nicht in dieser Gegend.
Sie dachte an das Briefbündel ihrer Mutter, das tief in ihrem Koffer in ihrem Hotelzimmer zwei Stockwerke über ihr vergraben war. Auf den Wunsch ihrer Mutter hin hatte sie ihr in den Wochen vor ihrem Tod alle nacheinander laut vorgelesen. Sie erinnerte sich an ihren Versuch, spät nachts etwas abzukürzen und einige Teile aus dem Brief zu überspringen, da sie erschöpft gewesen war und ins Bett hatte gehen wollen. Aber offenbar hatte ihre Mutter die Briefe auswendig gekannt. „Du hast etwas ausgelassen, Véronique. Bitte lies sorgfältiger vor, ma Chérie.“
Vielleicht würde sie etwas finden, das sie bis jetzt übersehen hatte, wenn sie die Briefe noch einmal las. Außerdem würde sie damit einen weiteren letzten Wunsch ihrer Mutter erfüllen.
„Pardonnez-moi, Mademoiselle. Darf ich Ihnen beim Essen Gesellschaft leisten?“
Véronique kniff die Lippen zusammen, um ein Lächeln zu unterdrücken. „Auch wenn es mich zutiefst betrübt, Monsieur, muss ich Ihnen eine Absage erteilen. Denn ich erwarte einen sehr wichtigen Gast. Ich muss Sie höflich bitten, an einem anderen Tisch Platz zu nehmen. Merci.“
Jack zog den Stuhl neben ihrem heraus und setzte sich. Mit seinem großen Körper füllte er den Platz völlig aus. Gleichzeitig füllte er einen Teil der quälenden Leere in ihrem Herzen aus.
„Ich denke, ich setze mich einfach hierhin, da Sie offensichtlich noch genug Platz an Ihrem Tisch haben, Madam.“ Er stieß ein übertriebenes Seufzen aus.
„Wie geht es dir heute Abend, Jack? Verlief deine Fahrt nach Briar Rose gut?“ Sie hatte ihn das letzte Mal vor zwei Tagen gesehen, bevor er zu einer zweitägigen Fahrt aufgebrochen war.
„Ja, danke. Es war ein wenig stiller als sonst, aber ganz nett.“
Sie sah ihn schief an und fragte sich im Stillen, ob er die Zeit ohne sie genoss. Oder ob er vielleicht ihre Gesellschaft vermisste. Sie wartete, da sie wusste, dass er ihr die Antwort auf ihre nächste Frage geben würde, ohne dass sie sie stellen musste.
„Ich habe den Händler, dem ich die Waren brachte, gefragt, und ich war auch im Mietstall.“ Seine Miene wurde ernst. Er schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, aber niemand hat von ihm gehört.“
Die gewohnte Antwort traf sie an diesem Abend härter als sonst, und Véronique musste den Blick abwenden. „Danke, Jack … trotzdem“, flüsterte sie und benutzte ein neues
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