Land der Sehnsucht (German Edition)
dankbar, dass der Arzt sie begleiten würde, wenn sie sich am Abend mit den Carlsons träfe. Sie wünschte, Jack könnte auch dabei sein, aber er war am Morgen zu Transportlieferungen in weiter entfernte Bergbaustädte aufgebrochen. Sie hatten in den letzten eineinhalb Wochen vier neue Städte besucht. Seit sie den Brief ihrer Mutter gefunden hatte, war Véroniques Wunsch, ihren Vater zu finden, noch größer geworden. Doch gleichzeitig wurde ihre Hoffnung, ihn zu finden, immer geringer.
„Dr. Hadley, ich bin überzeugt, dass Sie in dieser Stadt viel Gutes getan haben. Die Menschen von Willow Springs sollten dankbar sein, dass sie Sie haben. Die Carlsons jedenfalls sind dafür sehr dankbar. Das weiß ich.“
Dr. Hadley biss die Zähne zusammen. Einen Moment lang dachte Véronique, sie hätte etwas Falsches gesagt.
Tränen traten in seine Augen. „Es ist genau anders herum: Ich bin den Menschen in dieser Stadt dankbar, Mademoiselle Girard. Sie haben mir ihr Vertrauen dabei geschenkt, ihre Kinder auf die Welt zu bringen, und später die Kinder ihrer Kinder. Ich habe ihre Krankheiten behandelt und mich oft vergeblich bemüht, den Tod fernzuhalten. Dabei haben diese Menschen mich viel über das Leben gelehrt. Ich habe Gottes Hand in ihrem Leben gesehen. Und ich habe erfahren, dass Gott oft auf eine Weise handelt, mit der ich nicht gerechnet habe.“ Er beugte sich auf seinem Stuhl vor. „Ich war zu den Menschen, die sich meiner Pflege anvertrauen, immer ehrlich, egal, wie die Prognose aussah. Und ich habe viel für meine ärztlichen Entscheidungen gebetet. Ich erachte Ihr Angebot als sehr großzügig, Madam, aber ich bin immer noch nicht davon überzeugt, dass es für Lilly das Beste ist, sich dieser Operation zu unterziehen.“
Véronique war sich nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte. Aber die Entschiedenheit in seinen Augen verriet ihr, dass sie richtig gehört hatte. Er hatte schon bei ihrem ersten Gespräch Bedenken geäußert, aber das würde er doch bestimmt nicht wiederholen, nicht, nachdem der Chirurg der Operation zugestimmt hatte. „Sie zögen es vor, mit anzusehen, wie Lilly die Fähigkeit zu gehen verliert? Wie sie als Krüppel endet?“
„Ich zöge es vor, mit anzusehen, wie sie den Weg geht, den Gott für ihr Leben bestimmt hat, Mademoiselle Girard. Wie auch immer dieser Weg aussieht. Die Rolle des Retters zu spielen kann reizvoll sein. Glauben Sie mir, ich habe das auch schon das eine oder andere Mal in meinem Leben versucht.“ Sein verständnisvoller Gesichtsausdruck machte diese unverblümte Bemerkung etwas erträglicher. „Aber ich habe erkannt, dass die Rettung, wie wir sie uns vorstellen, nicht immer Teil von Gottes Plan ist.“
Véronique stand auf. Sie fühlte sich plötzlich verurteilt und wusste nicht genau warum. „Eines muss ich wissen, bevor wir mit Pfarrer Carlson und seiner Frau sprechen: Werden Sie ihnen von der Operation abraten?“
„Ich werde die Fakten darlegen, wie der Chirurg sie mir erläutert hat. Ich glaube, das ist meine Pflicht als Lillys Arzt. Aber ihnen einen Rat in die eine oder in die andere Richtung zu geben …“ Er schüttelte den Kopf. „Die Carlsons werden Gott um Weisheit in dieser Sache bitten, Miss Girard. Und sie tun gut daran.“
* * *
Als sie an diesem Abend in der Küche der Carlsons saß, war Véronique seltsam unruhig und unsicher, was den Zweck ihres Besuchs anging. Sie hatte Lilly noch im Hotel gesehen, als sie es verlassen hatte. Und als sie hier angekommen war, hatte sie gehört, wie Hannah ihren Sohn Bobby zu einem Freund ein paar Häuser weiter zum Spielen schickte. Vielleicht machte es sie nervös, dass dieses Gespräch so heimlich ablief.
Während Dr. Hadley die Fakten darlegte, wanderten ihre Gedanken immer wieder zu etwas zurück, das er an diesem Morgen in seiner Praxis gesagt hatte. „Und ich habe viel für meine Entscheidungen gebetet …“ Aber sie hatte auch viel für ihre Entscheidungen gebetet. Sie hatte Gott um Lillys Heilung gebeten. Sie hatte dafür gebetet, dass der Chirurg einwilligen würde. Und sogar dafür, dass Dr. Hadley sich einschalten würde. Warum hatte sie jetzt dieses nagende Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben?
Sie beobachtete Patricks und Hannahs Gesichter, als Dr. Hadley von Véroniques Vorschlag, die Kosten für die Operation zu übernehmen, berichtete. Hannahs Blick spiegelte ihre Überraschung wider. Tränen traten ihr in die Augen. Der Pfarrer schien ebenfalls mit seinen Gefühlen zu
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