Land der Sehnsucht (German Edition)
länger in Bergarbeiterlagern lebten, nichts Ungewöhnliches. „Danke für Ihren Rat, Sir.“ Er hielt ihm die Hand hin. „Wir fahren zum Ma Petite France und dann schnell weiter.“
Jack kehrte zum Wagen zurück und war sich bewusst, dass Véronique jeden seiner Schritte verfolgte. Er setzte sich zu ihr auf den Wagensitz.
„Wir fahren ein Stück auf dieser Straße weiter. Rousseau sagt, dass …“
„Rousseau?“ Ihr Blick wanderte von ihm zu dem Mann, der im Türrahmen stand.
„Er kam zwei Jahre vor deinem Vater herüber. Ich kann es nur schätzen, aber wahrscheinlich ist er ungefähr im Alter deines Vaters.“
„Aber er sieht so … alt aus.“
Jack nickte, da er das Gleiche gedacht hatte. „Bergbau ist Schwerstarbeit. Hier wird ein Mann schneller alt.“ Wenn er nicht viel zu früh stirbt.
Er lenkte den Wagen durch die Männer, die nach Waren anstanden, und zweifellos, um einen Blick auf Véronique zu werfen, und folgte dann Rousseaus Wegbeschreibung die Straße hinunter zu den Schlafbaracken.
Eine Stunde und unzählige Fragen später hatte ihr Besuch in Ma Petite France ihnen immer noch keinen Hinweis auf Pierre Gustave Girard gebracht. Wenn die Berichte der alten Männer stimmten – und aus irgendeinem Grund glaubte Jack, dass sie stimmten –, hatte Pierre Girard nie in The Peerless gearbeitet. Aber Jack hatte erstaunt beobachtet, welche Veränderung mit Véronique vor sich gegangen war.
Sie unterhielt sich mit den Bergarbeitern in ihrer Muttersprache, lachte und erzählte ihnen von Paris und ihrer Heimat, wenigstens schloss er das aus den wenigen Worten, die er verstand. Sie hörte ihren Geschichten aufmerksam zu und übersetzte gelegentlich für ihn. Die alten Bergarbeiter erzählten ihr von ihren Familien, die sie in Frankreich zurückgelassen hatten, oder von Familienangehörigen, die sie kurz nach ihrer Ankunft in diesem neuen Land hatten begraben müssen.
Die meisten Bergarbeiter machten auf ihn einen anständigen Eindruck, aber Jack blieb trotzdem an ihrer Seite und meldete damit unausgesprochen Besitzansprüche an. Daraus, dass die Bergarbeiter Abstand zu ihr hielten, schloss er, dass sie seine Körpersprache verstanden, auch wenn Véronique nichts davon bemerkte.
Als sie wieder im Wagen waren, fuhren er und Véronique auf der Hauptstraße zurück. Sie saß schweigend neben ihm, aber er spürte eine neue Energie in ihr, und eine Ruhe, die sie vorher nicht ausgestrahlt hatte.
Dann fiel ihm etwas ein.
Er lenkte das Gespann noch einmal auf Rousseaus Laden zu. „Ich habe vergessen, die Warenliste von Rousseau mitzunehmen.“ Nachdem er den Wagen neben dem Gebäude zum Stehen gebracht hatte, legte er die Bremse ein. „Ich bin gleich wieder da.“ Er sprang auf die Erde und war versucht, sie noch einmal daran zu erinnern, dass sie in seiner Abwesenheit mit niemandem sprechen solle. Aber da sie so viel Wert darauf legte, dass er ihr Angestellter war und da er ihr die Stimmung nicht verderben wollte, unterdrückte er diesen Drang. Er hatte schon genug Dramatik an diesem Tag erlebt.
* * *
Véronique sah Jack nach, wie er in dem Gebäude verschwand. Sie hätte ihn gern begleitet, aber er hatte sie nicht dazu aufgefordert. Deshalb hatte sie auch nichts gesagt. Sie ließ den deprimierenden Anblick der Stadt von ihrem Wagensitz aus auf sich wirken.
Wie konnte man nur an einem solchen Ort leben? Warum blieben die Menschen freiwillig hier? Etwas erregte ihre Aufmerksamkeit – eine heruntergekommene Hütte auf der anderen Straßenseite. Aus grauen Schindeln erbaut und leicht windschief, stand sie im Matsch und Schmutz und strahlte überhaupt keinen Reiz aus. Bis auf das Schild, das über der Tür angebracht war.
Darauf stand einfach Crêperie.
Ihr Hunger kam weniger aus ihrem Magen als vielmehr aus ihrem Herzen. Hunger nach dem Geschmack von zu Hause. Die Bergarbeiter in Ma Petite France waren anständige Männer gewesen, in deren Gesellschaft sie sich wohlgefühlt hatte. Wohler, als sie es an einem solchen Ort je für möglich gehalten hätte.
Zögernd sah sie zum Laden hinüber, wo Jack mit Monsieur Rousseau sprach. Dann wanderte ihr Blick zurück zur Hütte. Sie bräuchte nur einen Moment, und sie könnte Jack die ganze Zeit im Auge behalten.
Sie stieg vom Wagen und ignorierte mit eingeübter Miene die Blicke und Bemerkungen der Bergarbeiter, während sie die Straße überquerte. Das Innere der Crêperie sah nicht besser aus als das Äußere. Aber der Duft, der aus einem Hinterzimmer
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