Lanze und Rose
hättet Ihr geantwortet, Caitlin?«
Sie sah mich ohne mit der Wimper zu zucken an.
»Ich weiß nicht … In einer solchen Lage fällt es schwer, logisch zu denken…«
»Allerdings. Man überlegt, welche Antwort sie hören wollen oder nicht; aber ganz gleich, was Ihr antwortet, es wendet sich gegen Euch. Wenn ich mit nein antworte, ist das ein Fehler, denn in der Bibel heißt es, dass es den Teufel gibt, und daran muss man glauben. Antworte ich mit ja, gestehe ich damit mein Verbrechen.«
»Und was habt Ihr gesagt?«
»Nichts. Ich bin während des ganzen Prozesses stumm geblieben. Das hat sie zutiefst verdrossen. Die Ankläger haben Zeugen auftreten lassen, die ich nicht einmal kannte. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was man mir alles vorgeworfen hat. Angeblich habe ich das Vieh eines Nachbarn getötet, indem ich ein zerstoßenes Schneckenhaus unter das Futter gemischt habe. Ich habe ein Fischerboot zum Kentern gebracht, indem ich einen Sturm beschworen und damit den Tod der sechs Fischer verursacht habe, die sich an Bord befanden. Man hat sogar behauptet, ich hätte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, damit er mir Schönheit schenke, und müsse ihm männliche Säuglinge opfern, um sie zu bewahren…«
»Aber das ist ja furchtbar!«
Dann steckte ich die Nase in mein Glas, denn ich erinnerte mich daran, wie mir ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf gegangen war, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte.
»Der Hexenjäger, der mit meinem Fall befasst war, stand in dem Ruf, seine Opfer sehr rasch zu Geständnissen zu bewegen, indem er äußerst überzeugende Mittel anwandte. Wenn man ohnehin weiß, dass es keinen Ausweg mehr gibt, warum soll man dann nicht unter der Folter alles Mögliche gestehen, nur um allem ein Ende zu machen und den Tod zu beschleunigen? Doch ich hatte großes Glück. Dr. Mansholt hat in die Sache eingegriffen. Er hatte an der Untersuchung teilgenommen, da der Richter ein Freund von ihm war. Rasch hatte er erraten, was sich hinter Amanda Morgans bösartiger Anschuldigung verbarg. Am nächsten Tag sollte das Gottesurteil gefällt werden. Ich sollte mich der Folter mit dem spanischen Stiefel unterziehen, die einem langsam die Beine bricht. Wenn ich nicht gestehen würde, kämen die Daumenschrauben, dann die Streckung und schließlich der Scheiterhaufen. Die Einwohner hatten schon begonnen, ihn zu errichten und sangen dazu Psalmen aus der Bibel. Von meiner Zelle aus konnte ich sie hören, und merkwürdigerweise ertappte ich mich dabei, wie ich dazu die Lippen bewegte.«
Ich erschauerte bei dem Gedanken, was man in dem Moment empfinden musste, wenn der Henker mit seiner Fackel den Scheiterhaufen anzündete.
»Dr. Mansholt konnte Richter Caldwell, der im Grunde ein guter Mensch war, aber das Gesetz anwenden musste, überreden, mich freizulassen. Gemeinsam haben die beiden meine Flucht auf eine Weise ins Werk gesetzt, die niemanden belastete. Daniel hat ebenfalls daran mitgewirkt; er hatte wohl ein schlechtes Gewissen. Seitdem habe ich ihn nie wiedergesehen. Dann hat Dr. Mansholt mich hierhergebracht. Dieses Cottage gehört ihm, aber er zieht es vor, in seinem Haus in Auchallater an der Straße nach Braemar zu leben. Er betrachtet mich als seine Adoptivtochter.«
In diesem Moment trat der Doktor ein, als hätte er das Ende ihrer Erzählung abgewartet, ehe er uns unterbrach. Er stellte zwei große Wasserkrüge auf den mit Stroh und Tannennadeln ausgestreuten Boden und klopfte dann seine Stiefel und seine Weste ab.
»Brrr…«, stieß er hervor, so dass der Fettwulst, der über seine
Spitzenhalsbinde quoll, ins Beben geriet. »Ich glaube, ich habe mich ein wenig zu lange am Ufer des Baches aufgehalten.«
»Was habt Ihr dort getrieben?«, fragte Beatrix und hob mit ihren kleinen Händen den schweren Kessel an.
Für ihre Größe besaß sie eine erstaunliche Kraft. Dennoch kam der Doktor ihr zu Hilfe und nahm ihr die Last ab, um sie an den Haken zu hängen.
»Ich habe die Gelegenheit genutzt, einen guten Tabak von den westindischen Inseln zu rauchen«, gestand er lächelnd. »Und Ihr, worüber habt Ihr geplaudert?«
»Ach, über alles und nichts«, gab sie zurück und zwinkerte mir zu. »Wir haben von dem Portwein getrunken, den Ihr mir geschenkt habt, und unsere Bekanntschaft vertieft.«
Ein zufriedenes Lächeln erhellte das Gesicht des Arztes.
»Das ist gut, meine Kleine, das ist sehr schön.«
Dann setzte er sich zu uns, und gemeinsam leerten wir die Flasche.
26
Endlich
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