Lanze und Rose
mich hinter mein Pferd und hielt die Luft an, denn ich fürchtete, die beiden Männer könnten handgreiflich werden. Doch Quinlan streckte den Arm aus und half dem Betrunkenen beim Aufstehen. Dann entschuldigte er sich höflich für seine Zerstreutheit und reichte ihm ein Geldstück. Über das ganze Gesicht strahlend, taumelte der Matrose mit seinem Kameraden in die Taverne. Ich stieß den angehaltenen Atem aus. Dies war nun wirklich nicht der richtige Moment, um in eine Rauferei zu geraten.
»Tom Ross wohnt gleich um die Ecke, in der Back Causeway«, erklärte der Doktor, während er auf uns zukam.
Er fasste das Pferd, das vor den Wagen gespannt war, am Geschirr und zeigte uns den Weg. Hier schien alles »gleich um die Ecke« zu liegen.
Die Männer legten Patrick auf den Küchentisch des Doktors, und dann brach in dem Hause des Arztes von Culross ein geschäftiges Hin und Her aus. Die Köchin setzte in einem gewaltigen Kessel aus schwarzem Gusseisen Wasser zum Kochen auf und holte saubere Laken, die sie auf eine Bank neben dem Tisch legte. Quinlan öffnete seinen Handkoffer und holte ein ganzes Sortiment von Stahlinstrumenten hervor. Ein angewiderter Schauer überlief mich, als ich mir vorstellte, wozu sie dienen mochten. Tom Ross machte Patricks Bein frei und betrachtete das angeschwollene Glied nachdenklich. Sàra schmiegte sich, eine Tasse heißen Apfelwein in den Händen, hilfesuchend an mich und beobachtete die Szene mit geröteten Augen.
Ross tastete das Bein ab, und Patrick stieß einen Schmerzensschrei aus. Sàra erstarrte und wandte den Blick ab.
»Gut festhalten«, befahl der Arzt Matthew, der den Fuß unseres Bruders hielt.
Er kippte eine großzügig bemessene Menge Alkohol auf die eiternde Wunde und ergriff ein Skalpell.
»Was haltet Ihr davon?«, fragte Quinlan.
»Wir müssen den Abszess säubern und das abgestorbene Gewebe entfernen, damit die Infektion zurückgeht. Was ist diesem Mann zugestoßen?«
»Er ist von einer Mauer gefallen«, erklärte Quinlan, ohne weiter in Einzelheiten zu gehen.
An der medizinischen Fakultät waren er und Ross gute Freunde gewesen, doch konnte man nie wissen, welchem König jemand heutzutage zuneigte; daher war es besser, nicht allzu viel zu verraten.
»Ein Bruch vielleicht?«, meinte Ross und nahm einen vorsichtigen Einschnitt in die Haut vor.
Ein Schwall zäher, bräunlicher Flüssigkeit rann auf das Laken und erfüllte den Raum mit einem widerlichen Gestank. Patrick seufzte, und ich schluckte.
»Ja, vermutlich«, bestätigte Quinlan. »Oje! Ein Zellengenosse hat scheinbar den Bruch gerichtet. Ich vermute, dass die Entzündung durch einen Knochensplitter verursacht worden ist.«
Ross steckte vorsichtig einen Finger in den Einschnitt. Schwindel ergriff mich, und mir brach der kalte Schweiß aus. Wieder stöhnte Patrick. Seine Haut, auf der Schweißtröpfchen glänzten, war furchterregend blass. Quinlan sah ihn an und verzog unentschlossen das Gesicht.
»Wir müssen öffnen, um den Knochensplitter zu entfernen«, erklärte er nach kurzem Überlegen. »Hoffen wir, dass es nicht zu spät ist.«
Patrick öffnete verstört die Augen und erblickte uns. Ein leises Lächeln malte sich auf seinen aufgesprungenen Lippen, das jedoch bald einer schmerzverzerrten Miene wich. Er stieß einen gurgelnden Schrei aus. Ross hatte einen zweiten Einschnitt vorgenommen.
Quinlan zog eine Flasche aus seinem Handkoffer.
»Hebt seinen Kopf an«, bat er Matthew.
Er flößte ihm eine Dosis von der Flüssigkeit ein. Matthew wartete, bis Patrick geschluckt hatte, und senkte seinen Kopf dann behutsam auf den Tisch.
»Das wird schon wieder, Pat«, flüsterte er. Der geteilte Schmerz verhärtete seine Züge.
Nachdem er selbst die Schrecken einer Amputation durchgemacht hatte, bei der er den linken Unterarm verloren hatte, wusste Matthew nur zu gut, was sein Bruder zu ertragen hatte. Ein wenig stolz sah ich zu, wie er dem Verletzten, der sich an seine Weste klammerte und sich vor Schmerzen wand, begütigende Worte zuflüsterte. Matthew hatte einen langen Weg hinter sich. Nach seiner Amputation hatte er sich mehrere Jahre lang dem Alkohol hingegeben, doch eines schönen Tages hatte er sich wieder gefangen. Er hatte eine Stellung bei dem Arbeitgeber meines Vaters, Mr. Carmichael, gefunden. Als Letzterer verstorben war und mein Vater die Goldschmiedewerkstatt übernahm, hatte er sich um die Bücher und Bestellungen gekümmert und meinem Vater die Schreibarbeit abgenommen, so dass er
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