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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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Startkapital für den Heimweg«. Er traf keine Anstalten zu einem Händedruck, also ließ Milo es ebenfalls bleiben. Aber als er am Führerhaus vorbeikam, winkte er Gustav und Heinrich zu. Mit einem verwirrten Lächeln winkte Gustav zurück.
    Der Innsbrucker Hauptbahnhof bot viele Läden und Cafés. Nachdem er sich den Abfahrtsplan angesehen hatte,
kaufte er sich eine frische Mullbinde für seinen Arm, eine Flasche Orangensaft und ein großes, mit kaltem Braten belegtes Sandwich, das er draußen aß, während er die zum Mittagessen strömenden Freitagspassanten und den grauen Verkehr auf dem Südtiroler Platz beobachtete. Als er seine Mahlzeit beendet und auf der Toilette seinen Arm verbunden hatte, baute er das Telefon zusammen und setzte sich zum Warten in ein Café. Kaum hatte er sich niedergelassen, fing das Handy an zu vibrieren. Eine SMS: Myrrhe, Myrrhe.
    Noch nie im Lauf seiner Karriere war der allgemeine Rückrufcode geschickt worden. Das bedeutete, dass sich Zubenkos Geschichten alle als wahr erwiesen hatten. Man ging von einem chinesischen Maulwurf aus, und die ganze Abteilung wurde dichtgemacht.
    Wenn ihn daran etwas überraschte, dann nur, dass es ihm inzwischen völlig egal war.
    Unglaublich, wie schnell sich die Dinge ändern konnten. Eine Abteilung geriet in Panik und zitierte all ihre Agenten zurück. Einer dieser Agenten hörte einen einzigen Namen, Theodor Wertmüller, und kam zu der Auffassung, dass die Abteilung jede Daseinsberechtigung verloren hatte. Soll sie doch in Flammen aufgehen.
    Trotzdem hielt er sich an die Vorschriften, wenn auch nur, weil sie ihm zur zweiten Natur geworden waren. Er rief nicht an, weil die Gefahr bestand, dass Schwartz sein Telefon präpariert hatte, damit alle von ihm gewählten Nummern an sie weitergeleitet wurden. Umgekehrt erhielt auch er keinen Anruf, weil sein Wiederauftauchen möglicherweise nur bedeutete, dass ein anderer Dienst sein Telefon überwachte. Auch um Münzfernsprecher machte er einen Bogen, weil er damit rechnen musste, dass Schwartz die Österreicher von seinem Eintreffen
verständigt hatte. Zwar hätte er ihr gern vertraut, aber das war keine echte Option für ihn.
    Er bestellte sich einen Caffè latte und bereitete sich auf eine lange Wartezeit vor. Wie sich herausstellte, sollte es vier Stunden dauern. In dieser Zeit trank er Kaffee und wanderte durch die klaustrophobieauslösenden Straßen rings um den Hauptbahnhof, in deren Schaufenstern hochprozentige Getränke, Schokolade und Hilfsmittel für sexuelle Erfüllung angeboten wurden. Er schaltete den iPod an und hörte David Bowies Album Low mit dieser verzweifelten Stimme: »Oh, but I’m always crashing in the same car.«
    Gegen drei erblickte er James Einner, der sich mit flottem Schritt näherte. In seinen Augen funkelte ein Lächeln, aber nirgends sonst, und im Vorbeigehen sagte er nur: »Am Fenster.« Drei Häuser weiter erspähte Milo auf einem Fensterbrett ein billiges Nokia, das bereits klingelte.
    »Schön, von dir zu hören.« Milo setzte seinen Weg zum Bahnhof fort.
    »Wirst du überwacht?«
    »Glaube nicht, aber bei den vielen Kameras hier müssen sie gar nicht von ihren Notebooks aufstehen. Wohin soll ich?«
    »Nach Wien, dann Dulles Airport. Ich sitze in derselben Maschine. Hast du die Rückrufnachricht gekriegt?«
    »Warum die Panik?«
    Schweigen. »Darüber reden wir in Wien. Das Eurotel am Flughafen. Getränke bringe ich mit.« Er ging aus der Leitung.
    Milo kaufte sich eine Erste-Klasse-Fahrkarte zum Wiener Westbahnhof und döste kurz ein, als die Landschaft schwarz wurde. Manchmal pochte sein Unterarm,
aber er hatte keine Lust, ihn auf eine Entzündung zu untersuchen. Als es gerade besonders heftig zog, fiel ihm ein dunkelhäutiger Mann auf – Mitte dreißig, lange Koteletten, fit, mürrisch –, der den Wagen betrat und nacheinander die Sitzlehnen berührte, als würde er sie zählen. Als er sich dem hinteren Ende näherte, schaute er Milo kurz in die Augen und ließ ein graues Siemens auf den leeren Platz neben ihm fallen. Milo starrte auf das Telefon und drehte sich um, doch der Mann verließ bereits den Wagen.
    In seinem Gewerbe war es ganz normal, dass man sich allmählich eine Sammlung billiger Telefone zulegte, aber so schnell passierte das sonst nicht. Milo ließ das Handy liegen und spähte hinaus in die Nacht, in der langsam die Lichter einer fernen Stadt vorbeizogen. Dann gab das Telefon ein montones Piep-Piep von sich, und er nahm den Anruf an, ohne etwas zu

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