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Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition)

Titel: Leben mit dem Feind: Amsterdam unter deutscher Besatzung 1940-1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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sollten gleichzeitig mit ihren Angehörigen »schlagartig am selben Tag« verhaftet werden. Und so geschah es.
    Für die Juden hatte mit Sonnenuntergang der Schabbat begonnen, als sich am 2. Oktober 1942 gegen 22 Uhr 30 ein Großaufgebot von rund 1500 Polizisten in der ganzen Stadt auf den Weg machte, die Adressen von 4013 Personen in der Tasche. Aufgegriffen werden sollten die Amsterdamer Familienangehörigen, meist Frauen und Kinder, der jüdischen Männer, die zur gleichen Zeit in den Arbeitslagern verhaftet wurden. Die Juden wurden aus den Wohnungen geholt, in das zuständige Polizeirevier gebracht und auf einem großen Platz am Polderweg gesammelt. Von da ging es zum Bahnhof an der Muiderport, wo die Züge schon warteten.
    Die Polizisten hatten strikte Anweisungen, bei Alten und Kranken keine Ausnahmen zu machen, keine Krankenwagen zu bestellen, sondern sie mit Polizeiwagen erst zum Revier und von dort direkt zum Bahnhof zu schaffen. Es regnete, als Frauen, schwer bepackt, mit ihren weinenden Kindern in langen Reihen durch tiefe Dunkelheit zum Polderweg marschierten, bewacht von deutschen Polizisten, den »Grünen«, und von den »Schwarzen«. Das Abwehrfeuer, um Flugzeuge der Alliierten abzuwehren, war besonders heftig an diesem Abend. Die Polizisten konnten gegen fünf Uhr morgens nach Hause oder in ihre Kaserne gehen. Bewohner im Ortsteil Watergraafsmeer sahen noch Stunden später Züge mit deportierten Juden vorbeifahren.
    Am nächsten Abend, 3. Oktober 1942, sollten die Deportationen fortgesetzt werden. Nicht alle Familienmitglieder der Juden in den Arbeitslagern waren aufgegriffen worden. Mittags bekam Polizeichef Tulp, der auf Seiten der Amsterdamer Polizei die Aktionen leitete, einen so schweren Rheuma-Anfall, dass er seine Befugnisse einem Stellvertreter übertragen musste. Der Ausfall dieses Mannes, ein niederländischer Nationalsozialist, der die Judenpolitik der Besatzer mit Entschlossenheit und Autorität exekutierte, hatte Folgen. Nach dem Einsatz beschwerte sich Hans Kärgel, Kommandant der deutschen Polizisten, der mit seinen Männern vom Bataillon 68 wie am Abend zuvor beteiligt war, über den verdeckten Widerstand der Amsterdamer Polizisten, die am Abend in die Wohnungen der betroffenen Juden gegangen waren.
    SS -Hauptsturmführer Hans Kärgel, seit 1932 Mitglied der NSDAP , befehligte vor seinem Antritt in Amsterdam im September 1942 das Polizeibataillon 61, das in Osteuropa an Massenverbrechen gegenüber Juden und der Bewachung des Warschauer Gettos beteiligt war. Kärgel schrieb in seinem Erfahrungsbericht, dass die Amsterdamer Polizisten jede Gelegenheit nutzten, um die Aktion zu sabotieren. Sie nahmen sich in den Wohnungen unendlich Zeit, um die Papiere der Juden zu prüfen und erlaubten ihnen, jede Menge Gepäckstücke mitzunehmen. Auch verhafteten die Polizisten zu wenig Juden und ließen die »nötige Energie und Schärfe« vermissen. Es fehle ihnen an »innerer Überzeugung«.
    Diese Beobachtungen entsprachen der Realität. Auch wenn man keinem Polizisten eine Dienstverweigerung nachweisen konnte, wurde die Aktion an diesem Samstagabend um 22 Uhr 15 eingestellt, genauer gesagt: wegen Misserfolgs abgebrochen. Nur Juden, die das Pech hatten, schon auf einem Polizeirevier gelandet zu sein, wurden noch zum Polderweg gebracht. Dann war Feierabend für die regulären Amsterdamer Polizisten, und für den Rest des Jahres wurden sie von den Besatzern zu keiner weiteren abendlichen Aktion angefordert. Sybren Tulp erholte sich von seiner Rheuma-Erkrankung nicht mehr und starb am 20. Oktober 1942. SS -Hauptsturmführer Rauter befahl eine pompöse Beerdigung mit SS -Ritualen für das Mitglied der Niederländischen SS . Heinrich Himmler kondolierte der Witwe und schickte einen Kranz.
    Nach dem 3. Oktober schöpften die, die schon ihre Koffer für den Transport bereitgestellt hatten, ein klein wenig Hoffnung. Keine Polizeiwagen am Abend, keine Straßensperren, kein Klingeln, keine Stiefelschritte im Treppenhaus. Was die Amsterdamer, die Juden zumal, nicht ahnen konnten: Die Besatzer lehnten sich nur vorübergehend beruhigt zurück, befreit vom Quotendruck. In den letzten Tagen habe man »13   000 Juden in Holland zusammengefangen«, schrieb Hanns Albin Rauter am 7. Oktober 1942 an Heinrich Himmler. Er sei mit der Entwicklung »recht zufrieden«.
    Auch SS -Führer Ferdinand aus der Fünten, verantwortlich für die Aktionen in Amsterdam, war zufrieden. Er konnte nach den bisherigen Transporten

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