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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Schon in reifem Alter, als ich bei einem Transatlantikflug ins Cockpit eingeladen wurde, fragte mich der Pilot zuallererst, woher ich käme. Es genügte mir, ihn zu hören, um zu antworten:
    »Ich bin so eindeutig von der Küste wie Sie aus Sogamoso.«
    Denn er hatte die gleiche Art, die gleiche Gestik und die gleiche Stimmlage wie Marco Fidel Bulla, mein Banknachbar im vierten Jahr Liceo. Solche intuitiven Eingebungen haben mich gelehrt, die sumpfigen Gewässer dieser unvorhersehbaren Gemeinschaft zu befahren, auch ohne Kompass und gegen den Strom, und das war vielleicht so etwas wie ein Dietrich für mein Handwerk als Schriftsteller.
    Mir war, als ob ich einen Traum erlebte, denn ich hatte das Stipendium nicht angestrebt, weil ich weiter auf die Schule gehen wollte, sondern um meine Unabhängigkeit von anderen Verpflichtungen beizubehalten und zugleich auf gutem Fuß mit der Familie zu stehen. Schon die drei gesicherten Mahlzeiten pro Tag sprachen dafür, dass wir es in diesem Refugium für Arme besser hatten als daheim, und zwar unter einem System der überwachten Autonomie, das weniger offensichtlich war als die elterliche Herrschaft. Im Esssaal funktionierte eine Art Handel, der jedem erlaubte, sich seine Ration nach dem eigenen Geschmack zusammenzustellen. Geld war wertlos. Die zwei Frühstückseier waren die beliebteste Währung, da man mit ihnen jedes andere Gericht der drei Mahlzeiten vorteilhaft kaufen konnte. Alles hatte sein genaues Äquivalent, und nichts hat diesen legitimen Handel je gestört. Mehr noch: Ich kann mich nicht erinnern, dass es aus irgendeinem Grund in den vier Internatsjahren eine Schlägerei gegeben hätte.
    Auch den Lehrern, die an einem anderen Tisch, aber im selben Saal aßen, war solcher Tauschhandel nicht fremd, denn sie hingen noch an Gewohnheiten aus ihren vorherigen Schulen. Die meisten von ihnen waren Junggesellen oder lebten ohne ihre Frauen in Zipaquira, und ihre Gehälter waren fast so jämmerlich wie das Monatsbudget unserer Familien. Die Lehrer klagten mit ebenso viel Grund über das Essen wie wir, und während einer gefährlichen Krise wurde die Möglichkeit erwogen, dass wir uns mit einigen von ihnen zu einem Hungerstreik verschworen. Nur wenn sie Geschenke bekamen oder Besuch von außerhalb, genehmigten sie sich einfallsreiche Menüs, die dann das Gleichheitsprinzip durchbrachen. Das trat ein, als uns im vierten Jahr der Arzt des Internats ein Ochsenherz für seinen Anatomiekurs versprach. Am Tag darauf ließ er das Herz, noch frisch und blutend, in den Eisschrank der Küche legen, als wir es aber dann für den Unterricht holen wollten, war es nicht mehr da. Wir erfuhren, dass der Arzt, da kein Ochsenherz zu haben war, das eines Maurers ohne Familie geschickt hatte, der ausgerutscht und vom vierten Stock zu Tode gestürzt war. Die Köche aber hatten, als sie feststellten, dass das Essen nicht für alle reichte, das Herz, in der Annahme, es handele sich um das für den Lehrertisch angekündigte Ochsenherz, mit köstlichen Saucen zubereitet. Ich glaube, das unangestrengte Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern hatte etwas mit der damaligen Erziehungsreform zu tun, die zwar kaum Spuren in der Geschichte hinterlassen, aber zumindest das Protokoll vereinfacht hat. Der Altersunterschied war nicht mehr so groß, der Krawattenzwang wurde gelockert, und keiner regte sich mehr darüber auf, wenn Lehrer und Schüler zusammen etwas trinken gingen oder am Sonnabend die gleichen Tanzfeste besuchten.
    Eine solche Atmosphäre war wohl nur möglich mit dieser Art von Lehrern, die ungezwungene und angenehme persönliche Beziehungen zuließen. Unser Mathematiklehrer konnte mit seiner Weisheit und seinem rauen Sinn für Humor den Unterricht in ein Furcht erregendes Fest verwandeln. Er hieß Joaquín Giraldo Santa und war der erste Kolumbianer, der den Doktortitel in Mathematik erwarb. Zu meinem Unglück und trotz meiner und seiner großen Anstrengungen habe ich seinem Unterricht nie ganz folgen können. Damals hieß es, poetisches Talent vertrage sich nicht mit mathematischer Begabung, und schließlich glaubte man das auch und erlitt entsprechend Schiffbruch. Die Geometrie behandelte mich mitfühlender, vielleicht dank ihres poetischen Prestiges. Die Arithmetik hingegen verhielt sich schlicht feindselig. Noch heute muss ich beim Kopfrechnen die Zahlen in ihre einfachsten Komponenten zerlegen, besonders die Sieben und die Neun, die ich mir auch beim Einmaleins nie merken konnte. Will

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