Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
gegenübersteht, der nur schmerzerfüllt ächzt, anstatt zu sprechen. Nach mehreren Nachtwanderungen, unendlich erscheinenden Märschen durch ödes Brachland oder Spaziergängen durch ein Gestrüpp aus Dornenbüschen und Brennnesselfeldern hat es den meisten Schülern bereits die Haut von den Knochen gerieben. Während der Pädagoge in winterfesten
Jack-Wolfskin
-Schuhen und der dazugehörigen, farbig angepassten Outdoorjacke begeistert durch die Botanik streift, sind die Schüler ein Haufen mückenzerstochener, sonnenverbrannter Menschlein, die sich untereinander nur noch mit unterschiedlich intonierten »Aua«-Lauten verständigen.
Hier helfen nur noch Pflaster. Am besten greift man zur wasserfesten Vorratspackung der hochpreisigen Kategorie, alles andere versifft innerhalb weniger Augenblicke und fällt danach wie welkes Laub vom Arm. Eigentlich wären die meisten Schüler besser damit bedient, sich vor der Klassenfahrt Ganzkörperbandagen anlegen zu lassen. Eingerollt und mit Leukoplast versiegelt, würden sie dann zwar eher wie ein wiedererwachter Pharao aussehen – aber sicher ist sicher. Besorgte Eltern können ihre Kinder vor der Klassenfahrt auch komplett in Bläschenfolie einrollen, und wenn der Reisebus dann wider Erwarten gegen eine Felswand donnert, bleiben im Innenraum alle Kinder heil, und man hört nur ein ohrenbetäubendes »Plop Plop Plop«.
Taschentücher
Einer heult immer. Wenn man junge Menschen, deren Körper dauerhaft in der Hormondisco tanzen und die emotionale Erregbarkeit eines aufgekratzten Erdhörnchens haben, in einen Bus und ein Gebäude fernab von zu Hause sperrt, fängt spätestens nach zwei Stunden jemand an zu flennen. Die Gründe dafür sind vielschichtig, hier sind die wichtigsten aufgeführt:
»Ich will wieder nach Haaause!« (begleitet von lautem »Buhu«-Geheul)
»Ich will NIE wieder nach Haaause!« (siehe oben)
»Mara hat gesagt, dass Tobias gesagt hat, dass Julian denkt, dass Laura gesagt hat, dass ich sie nicht mag.«
»Boah, ich lieb den Timo so herbe, das ist so ein endskrasses Gefühl. Nee, das kann keiner verstehen, echt nicht! Ich lieb den sooo!«
HDNMLDAK – wird meist als SMS über die Sitzreihen im Bus hinweg gesendet und geht dem Geheul voraus. Heißt übersetzt: »Hab dich nicht mehr lieb, du alte Kacksau!«
»Das schmeckt überhaupt nicht nach Frikadelle!« (Okay, wegen so etwas heule nur ich.)
Bei Heulattacken jeglicher Art hilft es sehr, immer eine Packung aromatisierter Taschentücher dabeizuhaben, die Dinger werden im Verlauf der Klassenfahrt sicher bei zahllosen Gelegenheiten gebraucht. Außerdem bietet der nach Kamille duftende Trostspender eine unbezahlbare Gelegenheit, dem anderen Geschlecht nahe zu kommen, auch wenn es nur als mobiler Rotzfahnenhelfer ist.
Taschenmesser
Der unverzichtbarste aller Survivalgegenstände, das klassische Schweizer Taschenmesser. Jeder, der mal in einer nasskalten Nacht unter einem Einpersonenzelt vor einem stinkenden Gaskocher gesessen und versucht hat, die Dose Ravioli mit einem Stein zu öffnen, weiß, warum das Schweizer Taschenmesser die beste Erfindung der Welt ist, noch vor dem Internet, Fernsehen und der Bettwurst.
Es ist vielfach einsetzbar, egal, ob nun eine Dose geöffnet werden soll, der Chianti des Lehrers zu entkorken ist oder man mit einem Eisbären kämpfen muss. Natürlich hat jedes Taschenmesser eine Grundausstattung wie Messer, Korkenzieher oder Flaschenöffner (irgendwie fällt hier ein starker Zusammenhang zwischen Vollsuff und dem Besitz eines Taschenmessers auf), teurere Modelle sind dann noch mit weiteren Extras ausgerüstet, wie etwa:
Kompass:
geradezu lebensnotwendig, damit man beim Aufstemmen eines Kastens Billigbier auch immer weiß, wo Norden ist.
Säge:
Verschollen, fernab der Zivilisation in der eisigen Kälte eines nächtlichen Fichtenwalds, kann eine Säge Wunder wirken …
Schraubenzieher:
Klassenfahrten zeichnen sich ohnehin durch starken Mangel an Privatsphäre aus, da wirkt ein klassischer Kreuzschlitz Wunder, wenn einmal schnell der Türgriff abgenommen werden muss – schon hat man stundenlang seine Ruhe.
Allerdings kann das Taschenmesser in der modernen, von starken Sicherheitsgedanken durchsetzten Gesellschaft auch Irritationen hervorrufen. Als die Toskanafahrt der Parallelklasse einen Tagesausflug in den Vatikan vorsah und Stefan Stichling sein wohlbewährtes Taschenmesser zum Apfelschälen zückte, wurde er direkt von drei Schweizergardisten angesprungen und mit auf
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