Legenden der Traumzeit Roman
was zu retten ist, und geh ins Wohnzimmer.«
Stirnrunzelnd setzte Jessie ihre schmerzenden Glieder in Bewegung und schnappte nach Luft, als ihre bloßen Füße ins eisige Wasser tauchten. Unkontrolliert zitternd setzte sie sich auf die Bettkante und zog die trockenen Kleider an, die sie zum Glück an die Tür gehängt hatte. Es kostete sie größte Mühe.
»Komm, ich helfe dir.« Hildas tüchtige Hände machten sich an Knöpfen und Schnüren zu schaffen, und als Jessie schließlich angezogen war, warf sie ihr ein großes Cape um die Schultern. »So, Schätzchen«, murmelte sie. »Das sollte die Kälte fernhalten.«
»Meine Tasche. Wo ist meine Tasche?«
»Die habe ich in Sicherheit gebracht – keine Bange. Und jetzt komm.«
Jessie besaß die Geistesgegenwart, ihren Rock anzuheben, als sie hinter Hilda herwatete, doch das Fieber, das sie schüttelte, ließ alles wie einen Traum erscheinen, und sie fragte sich, ob sie wohl noch schlief. Eine schwankende Laterne wies ihr den Weg, und sie registrierte vage, wie sich der Schein in den von ihren Füßen aufgeworfenen Wellen verfing, doch nichts war so merkwürdig wie der Anblick von Mr. Lawrence, der im Schneidersitz auf dem Esstisch hockte und in jeder Hinsicht wie ein jüdischer Schneider aussah.
»Stehen Sie da nicht rum!«, blaffte er. »Sie werden sich noch den Tod holen.«
Jessie brach in schallendes Gelächter aus. »Sie sehen wirklich witzig aus«, sprudelte es aus ihr heraus. »Nähen Sie einen Anzug oder vielleicht eine neue Jacke?«
Seine Stimme war eisig wie sein Blick. »Mrs. Blake, seien Sie so freundlich, und helfen Sie Miss Searle. Halten Sie ein Auge auf sie! Ich habe mich um genug anderes zu kümmern und kann mich nicht auch noch mit hysterischen Weibsbildern abgeben.«
Stirnrunzelnd ließ Jessie sich von Hilda auf den Tisch helfen. Sie hatte einen sehr merkwürdigen Traum, aber wenn es ein Traum war, warum war ihr dann kalt und im nächsten Augenblick heiß? Das alles war sehr eigentümlich, und sie wünschte, Hilda würde den Kamin anzünden, denn es war eisig kalt hier drinnen. Sie lehnte sich an Hildas mütterliche Schulter, die Augen fielen ihr vor Schwäche zu, das Bedürfnis zu schlafen war überwältigend.
Sie träumte, sie wäre wieder auf See, ihre Koje schwankte mit dem Rollen und Stampfen des Schiffes, das durch die ruhigeren Gewässer des Indischen Ozeans pflügte. Doch noch im Traum wusste sie, dass es nicht sein konnte, denn Mr. Lawrence und Hilda hatten sie nicht von Cornwall aus begleitet, und sie hörte sie reden.
»Wenn das Wasser noch viel höher steigt, werden wir schwimmen müssen, um hier rauszukommen«, meinte Hilda.
»Ich glaube, Sie dramatisieren die Lage, Mrs. Blake. Der Regen hört bald auf, und wenigstens sind wir in Sicherheit und trocken, wenn wir es auch nicht gerade bequem haben.«
»Und wenn er nicht aufhört? Was dann?«
»Ihr Pessimismus hilft auch nicht weiter. Wenn Sie nichts Nützliches beizutragen haben, dann seien Sie bitte still.«
Jessie driftete immer wieder in ihre Träume ab, das Schlingern des Schiffes und das leichte Plätschern des Wassers waren wie ein Schlaflied.
»Jessie, du musst aufwachen. Komm, Schätzchen, setz dich gerade hin, und mach die Augen auf!«
Sie blinzelte und versuchte, sich auf einen Punkt zu konzentrieren, doch Hildas Gesicht war verschwommen. »Lass mich schlafen«, murmelte sie.
»Nein, Jessie du musst aufwachen.«
Jessie riss die Augen auf, als sie kräftig geschüttelt wurde. Verblüffend rasch stellte sich Klarheit ein, denn ihr wurde bewusst, dass das Schaukeln nicht von einem Schiff herrührte, sondern vom Esstisch, der durch den Raum schwamm.
»Hör zu, Jessie, wir müssen den Tisch aus der Tür lenken, solange wir noch die Möglichkeit haben. Das Wasser steigt schnell, und bald sitzen wir hier in der Falle. Verstehst du?«
Jessie nickte, da alles endlich einen Sinn ergab.
»Braves Mädchen!« Hilda reichte ihr eine Bratpfanne. »Nimm die als Paddel, und wenn wir draußen sind, klammere dich an einen der Verandapfosten.«
Sie runzelte die Stirn und fragte sich, warum sie etwas so Eigenartiges tun sollte, doch da Hilda offenbar wild entschlossen war, begann sie gehorsam zu paddeln. Trotz des Ernstes ihrer Lage gefiel es ihr, die Pfanne ins Wasser zu tauchen und denTisch quer durch den Raum in die Diele hinauszusteuern. Das erinnerte sie an ihre Kindheit und den Spaß, den sie mit ihren Brüdern im Hafen gehabt hatte. Unwillkürlich musste sie
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