Lehmann, Christine
stand auf, um über Freds Schulter auf den Bildschirm zu schauen. Was man da sah, war nicht sonderlich spektak u lär, Zahlenkolonnen, die sich im Bereich zwischen 48 – Ruhepuls von Bob – und 187 bewegten, meinem Puls bei der Flucht vor dem Bagger. Hätte eigentlich schlimmer sein können, dachte ich. Die Zahlen verschwammen vor meinen Augen. Ich musste mich setzen und landete n e ben Rhianna auf dem Bett.
»Geht ’ s?«, wisperte ich.
Sie nickte.
Fred, Bob und Giovanni diskutierten leise am Laptop, und der stille Schlangenbeschwörer Abdul blickte mit zusammengekniffenen Augen allen über die Schultern und suchte Muster.
»Gail ist ja auch wieder unter uns, habe ich gehört«, bemerkte ich.
Rhianna nickte.
Ich gab es auf. Auch Technomusik konnte einlullen. Ich wankte durch Traumbilder. Cecilie Rees schwang ihre Brille wie einen Rohrstock. »Wem gehört der Mond?« Jockei grinste, Schüssi lachte mit Glosslippen. Wenn die Menschheit den Mond verlassen haben würde, würde er aussehen wie die Braunkohleabraumhalden in der Niederlausitz. Aber ging mich das was an? Es war doch nur eine Wette zwischen dem Niederwangener Gunter und dem Torti aus Wangen. »Ich werde die Mondgöttin heiraten« – »Und mir wird der Mond geh ö ren!«
Rhianna rammte mir den Ellbogen in die Seite.
Ich war gegen sie gesunken. »Sorry.«
»Übrigens«, murmelte Rhianna. »Jetzt kann ich es ja sagen. Jetzt, wo alles den Bach runtergeht.«
»Was?« In einem Bächlein helle, da schoss in froher Eil die launische Forelle vorüber wie ein Pfeil …
»Vielleicht kommt keiner von uns hier mehr lebend raus«, wisperte Rhianna. Sie blickte mich an. »Also, ich … und Torsten … Also, wir …«
Ich lachte. Kinder, ja, wenn es nichts Schwerwiegen d e res gab. Doch was gab es Schwerwiegenderes als B e trug? Der Mensch nahm sich überallhin mit.
»Ich sei seine Mondgöttin, hat er gemeint«, wisperte Rhianna.
»Du?«
»Rhianna ist ein alter keltischer Name und bedeutet Nymphe und Mondgöttin.«
»Ach Gott!«
Sie lächelte schief. »Er war schrecklich verknallt in mich, er konnte sehr charmant sein, sehr zärtlich. Ich … ich mache mir solche Vorwürfe!«
»Warum denn?«
Sie blickte mich verwundert an. »Mein Mann hat i m mer hinter mir gestanden. Ohne ihn hätte ich es nie bis hie r her geschafft. Und was tue ich? Fange was mit einem Koll e gen an. Das hätte ich nie von mir gedacht!«
Ach so. Und ich hatte schon gehofft, sie hätte sich b e züglich Torstens Tod etwas vorzuwerfen gehabt.
»Und ich dachte, Yanqiu sei Torstens Mondgöttin g e wesen!«
Rhianna presste ein Gelächter durchs Schmerzstöhnen. »Dieses Porzellanpüppchen? Die ihm nachgesagt hat, er hätte sie zu vergewaltigen versucht. Man hat ihn deshalb sogar vorzeitig zurückbeordert.«
Am Tisch lehnte sich plötzlich Fred zurück. »Alle Protokolle sind lückenlos«, sagte er so leise, dass man es bei der Beschallung nur von seinen Lippen ablesen kon n te. »Identische Zahlenreihen gibt es keine.«
»Gehen wir schlafen«, seufzte Gonzo.
Giovanni lag bereits flach in seiner Koje.
»Aber«, protestierte ich, »woher kommt jetzt das M e thangas, das Cockroach angezeigt hat? Wir sind ang e griffen worden, als wir im Begriff waren, es herauszufi n den. Genauso wie Torsten.«
»Das kriegen wir schon noch raus, Lady!«, sagte Bob, reckte sich, dehnte die Schultergelenke, blähte die Lu n gen und ließ den Brustkorb knacken.
»Was machen eigentlich die Russen?«, erkundigte sich Gonzo.
»Finden ein Russe und ein Amerikaner einen Gol d klumpen auf dem Mond«, kicherte Fred. »Sagt der Ru s se: Teilen wir brüderlich? Darauf der Amerikaner: Ha l be-halbe ist mir lieber.«
»Habt ihr eigentlich keine anderen Witze hier oben?«, blaffte Gonzo.
»Doch«, sagte Giovanni, plötzlich wieder wach, und heftete seinen vertränten Hundeblick unter buschigen Brauen hervor auf den Astrophysiker. »Was sagt ein Chinese, wenn er einen Oberschenkelbruch hat? Knicki-knacki unterm Sacki.«
Fiel Krzysztof ein: »Warum gibt es in Polen kein Vi agra? Weil alles, was länger als fünf Minuten steht, g e klaut wird.«
»Wie heißt der niederländische Sexminister?«, schrie Fred. »Rudi Fick van Achtern!«
Fred, Bob und Krzysztof kreischten und bogen sich vor Lachen. In Gonzos Mimik rissen die ersten Siche r heitsgurte.
54
»Dies brachte mich zur Vorstellung, dass ich zum Mond hinunter sinke … weil diese Masse, sagte ich mir, geri n ger ist als die unsrige, muss ihr
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